Marktbericht 2022

Europäische Zusammenarbeit federt Turbulenzen im Strommarkt ab

Cover des Marktberichts 2022. Eine Trasse auf grüner Wiese, im Hintergrund Windkraftanlagen.

Das Jahr 2021 war für den europäischen Strommarkt herausfordernd: An den Spotmärkten in Deutschland vervierfachten sich die Strompreise – die Gaspreise stiegen fast um das Siebenfache. „Diese anhaltende Volatilität stellt Verbraucher vor erhebliche Herausforderungen“, sagt Dr. Hans-Jürgen Brick, CEO der Amprion GmbH. „Unser Marktbericht 2022 zeigt aber auch, dass die Integration der europäischen Strommärkte gegen solche Turbulenzen wirkt.“

Auch im schwierigen Marktumfeld des vergangenen Jahres ist diese weiter fortgeschritten. Das zeigt sich unter anderem an dem hohen Niveau der Preiskonvergenz in Zentral-West-Europa CWE (Deutschland, Frankreich, Luxemburg, Niederlande, Belgien, Österreich): Trotz der hohen Preise Ende 2021 lag diese auf dem Niveau des Vorjahres. Der Strompreis im Marktgebiet CWE konnte somit frei gebildet und Strom ohne Einschränkungen gehandelt werden. Die Käufer an den Börsen haben damit den gleichen günstigsten Preis für Strom bezahlt.

Der Amprion-Marktbericht zeigt auch: Ein entscheidender Faktor für die Integration des europäischen Strommarktes ist der Ausbau der dafür notwendigen Netzinfrastruktur. „Der Netzausbau hat für uns daher auch weiterhin höchste Priorität", sagt Amprion-CEO Brick. „Dabei müssen wir sowohl die Erfordernisse des Netzes als auch des Marktes berücksichtigen“, ergänzt Brick.

Netzausbau zentral für Erfolg

Wie stark das Netz der begrenzende Faktor ist, zeigt sich am Stromtransport in CWE. In der Hälfte der Stunden im Jahr 2021 standen ausreichend Kapazitäten zur Verfügung, um günstigen Strom vom einen ins andere Marktgebiet zu transportieren. In der anderen Jahreshälfte gab es jedoch Beschränkungen. Dies führte dazu, dass in einem Marktgebiet ein höherer Preis an der Strombörse gezahlt werden musste als im benachbarten. Im Durchschnitt lag der Preisspread im vierten Quartal bei über 25 Euro pro Megawattstunde.

Das Marktdesign muss weiterentwickelt werden

In Zukunft müssen Strommarkt und europäisches Übertragungsnetz stärker gemeinsam gedacht und weiterentwickelt werden, so ein Fazit des Berichts. Amprion hat deswegen ein Konzept für ein neues Marktdesign entwickelt, das auch die richtigen Anreize in Europa setzen könnte. Im sogenannten Systemmarkt werden über modulare Märkte sowohl die notwendigen Erzeugungsanlagen angereizt als auch Allokationssignale gesetzt, damit sie an systemdienlichen Orten entstehen. Außerdem sichert das Marktdesign die Versorgung mit Systemdienstleistungen, die notwendig für den stabilen Netzbetrieb sind.

Fragen & Antworten

Wie sehen die aktuellen Entwicklungen auf den Regelreservemärkten aus?

 MARI und  PICASSO sind die Projekte der Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) zur Einrichtung der europäischen mFRR- (Minutenreserve bzw. manual Frequency Restoration Reserve) und aFRR- (Sekundärreserve bzw. automatic Frequency Restoration Reserve) Plattformen, zwei Schlüsselergebnisse der europäischen Verordnung zur Festlegung einer Leitlinie für die Regelenergie (die "EB-Verordnung"). Diese europäischen Plattformen werden die Effizienz des Systemausgleichs in Europa weiter verbessern und die Ausgleichsenergiemärkte integrieren, indem sie die Möglichkeiten für den Austausch von mFRR- und aFRR-Arbeit fördern und gleichzeitig zur Betriebssicherheit beitragen. Die Platform for the International Coordination of Automated Frequency Restoration and Stable System Operation (PICASSO) ist das von allen ÜNB über ENTSO-E unterstützte Umsetzungsprojekt zur Einrichtung der europäischen Plattform für den Austausch von aFRR. Sie ist am 01. Juni 2022 in Betrieb gegangen. Deutschland und damit auch Amprion haben sich am 22. Juni 2022 der Plattform angeschlossen. Weitere Informationen finden Sie auf der  ENTSO-E Webseite.

Die Plattformen dienen der gemeinsamen Auktion, Verrechnung und Überwachung der Regelreserve innerhalb der Energieunion. Dabei soll ein wirksamer Wettbewerb, Nichtdiskriminierung und Transparenz entstehen, die die Effizienz, Betriebssicherheit und eine Integration der Strommärkte in der EU sicherstellen.

Mit der Genehmigung des Änderungsvorschlags aller europäischen ÜNBs zur Preisbildungsmethode für Regelarbeit durch  ACER wurde übergangsweise ab Einführung des Zielmarktdesigns am 22. Juni 2022 eine reduzierte, auf europäischer Ebene gültige Preisobergrenze für Regelarbeit in Höhe von 15.000 EUR/MWh für aFRR und mFRR eingeführt. Diese ist für den Zeitraum von zwei Jahren nach der Umsetzungsfrist der europäischen Plattformen für den Austausch von Regelarbeit gemäß EB GL anwendbar. Für die Jahre 2024-2026 gilt eine Preisobergrenze von 22.490 EUR/MWh.

Weitere Neuigkeiten zum Thema Regelleistung werden auch auf  regelleistung.net veröffentlicht.

Welchen Einfluss haben die aktuellen Preisentwicklungen auf die Übertragungsnetzbetreiber?

Der massive Anstieg der Kosten für Roh- und Brennstoffe sowie in der Folge auch für Strom im vergangenen Jahr hat für deutliche Verwerfungen an den Energiemärkten gesorgt. Insbesondere mit Blick auf den Ausgleich von Netzverlusten, Redispatch und die Vorhaltung von Regelenergie haben diese Entwicklungen auch einen starken Einfluss auf die europäischen Übertragungsnetzbetreiber. Weitere Kostensteigerungen für die Übertragungsnetzbetreiber betreffen beispielsweise die Netzausbauprojekte, die ebenfalls von höheren Kosten für Materialien und Dienstleistungen betroffen sind.

Die hohen Strompreise und teilweise hohen Preisdifferenzen zwischen den einzelnen europäischen Gebotszonen hatten zudem Auswirkungen auf die Engpasserlöse. Diese sind aufgrund der durchschnittlich angestiegenen Preisunterschiede zwischen den Gebotszonen ebenfalls gestiegen. Diese Erlöse werden nach Artikel 19.2 der Strommarktverordnung (Verordnung (EU) 2019/943) von den Übertragungsnetzbetreibern für die Auflösung der Engpässe und damit für grenzüberschreitend relevante Redispatch-Maßnahmen und den grenzüberschreitend relevanten Netzausbau genutzt.

Welche Auswirkungen haben die aktuellen Entwicklungen (u.a. Ausbau Erneuerbare Energien, politische Entwicklungen) auf den Netzausbau?

Das deutsche Übertragungsnetz sowie die Amprion Regelzone sind geprägt von einem strukturellen Wandel der lokalen Erzeugungs- und Nachfragesituation durch den Ausbau der Erneuerbaren Energien. In Bezug auf ihre Verfügbarkeit über das Jahr hinweg ergänzen sich Solar- und Windenergie in der Regel gegenseitig. Die Spitzenleistung der Solarenergie wird im Sommer erbracht, während die durchschnittliche Windenergieerzeugung im Winter in der Regel höher ist. Aufgrund der höheren Volllaststunden und der höheren Erzeugung während der Nacht- und Grundlaststunden hat die Windenergieerzeugung einen größeren Einfluss auf Importe und Exporte als die Solarenergie. Hierbei sind es insbesondere die windreichen Situationen, die regelmäßig zu Engpässen im Norden der Amprion Regelzone führen. Um diese Engpasssituation zu entspannen besitzt der Bau neuer Trassen vom Norden bis in den Süden Deutschlands für Amprion höchste Priorität. In Koordination mit den anderen deutschen Übertragungsnetzbetreibern entstehen so in den nächsten Jahren zahlreiche neue Leitungen und Projekte, wie zum Beispiel  Korridor B und  A-Nord.

Für die ambitionierten Energie- und Klimaziele Deutschlands und Europas spielt der Netzausbau eine entscheidende Rolle. Um diesen so schnell und effizient wie möglich zu gestalten müssen Markt und Netz in Zukunft wieder stärker gemeinsam gedacht werden (z.B. über den Systemmarkt). Es müssen zukünftig neue Anreize für flexible Erzeuger (z.B. H2-/H2-ready-Gaskraftwerke) und flexible Lasten (z.B. Elektrolyseure) entstehen, sich an system- und netzdienlichen Standorten anzusiedeln. Darüber hinaus muss auch eine Beschleunigung der Genehmigungsverfahren zur Umsetzung dieser essentiellen Projekte für den Netzausbau zeitnah umgesetzt werden, um eine Verfehlung der deutschen und europäischen Klimaziele zu vermeiden.

Dies wurde auch auf EU-Ebene erkannt. Die Beschleunigung der Genehmigungsverfahren und eine weitere Erhöhung der 2030-Ziele für Erneuerbare (auf mindestens 45 Prozent) und Energieeffizienz sind zentrale Bestandteile des REPowerEU Plans, den die EU-Kommission am 18. Mai 2022 vorgestellt hat und mittels dessen sie die Abhängigkeit der EU von fossilen Brennstoffen aus Russland beenden und gleichzeitig die Klimakrise und hohen Energiepreise bewältigen will. Auch stehen Überlegungen zur Änderung des Strommarktdesigns im Raum.

Welche zukünftigen Herausforderungen gibt es mit Blick auf die Preisentwicklungen?

Die Entwicklung der Strompreise verlief im vergangenen Jahr und dabei insbesondere in den letzten Monaten von 2021 sprunghaft. Day-Ahead Strompreise von über 300 Euro/MWh waren keine Seltenheit. Kurzfristig zeigt sich bereits, dass sich die Preise im ersten Halbjahr 2022 auf einem Niveau von ca. 200 Euro/MWh eingependelt haben. Der Erdgaspreis scheint aktuell ebenfalls ein Plateau erreicht zu haben und verhält sich ähnlich der Strompreise. Beim Preis für Erdöl und Steinkohle sehen wir aktuell im ersten Halbjahr 2022 noch einen Trend nach oben. Die mittel- bis langfristigen Entwicklungen sind im derzeitigen, geopolitischen Kontext nur schwer zu prognostizieren. Energiepolitische Entscheidungen, wie zum Beispiel über die Marktrückführung von Kohlekraftwerke aus der Reserve, können einen deutlichen Einfluss auf die mittelfristige Preisentwicklung für Brennstoffe haben.

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Bei Fragen stehen Ihnen die Kolleginnen und Kollegen gerne unter ten.noirpma@tropeRtekraM zur Verfügung.