Das europäische Stromsystem
Die nationalen Stromnetze in Europa sind durch grenzüberschreitende Leitungen, sogenannte Interkonnektoren, miteinander verbunden. Dadurch wird die physikalische Basis dafür geschaffen, dass der Strom über die Grenzen hinweg gehandelt werden kann und sich die Preise europaweit angleichen. Experten sprechen vom europäischen Binnenmarkt für Strom. Der diskriminierungsfreie und grenzüberschreitende Zugang zu unseren Stromnetzen erfolgt unter der Maßgabe, dass die Systemsicherheit stets gewährleistet wird.
Der EU-Binnenmarkt
Die Verwirklichung und Weiterentwicklung des EU-Binnenmarktes steht seit Jahren im Zentrum der Energiepolitik der Europäischen Union. Denn er gilt als Weg zu einer langfristig sicheren, nachhaltigen und bezahlbaren Energieversorgung.
Den Ausgangspunkt bildete die erste EU-Richtlinie zur Liberalisierung des Strombinnenmarktes vom 19. Dezember 1996, die 1998 in deutsches Recht überführt wurde. Dahinter stand die Idee, den grenzüberschreitenden Stromhandel sowie den Wettbewerb zu fördern und damit einen europäischen Binnenmarkt für Energie zu schaffen. So begann ein neues Zeitalter in der Geschichte der Stromversorgung: Die EU setzte sich mit ihrer Auffassung bei den Mitgliedstaaten durch, Strom als Ware anzuerkennen, die fortan frei gehandelt werden sollte. Die festgelegten Gebiete, in denen bisher vertikal integrierte Stromversorgungsunternehmen für die Erzeugung, die Netze sowie den Vertrieb zuständig waren, wurden aufgelöst.
Mit dem zweiten EU-Binnenmarktpaket vom 26. Juni 2003 rückten die Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) in den Mittelpunkt der Liberalisierung. Die ersten Vorgaben in Sachen „Unbundling“ wurden umgesetzt. Unter diesem Begriff (deutsch: Entflechtung) fasste der Gesetzgeber neue Vorschriften zur Trennung von Erzeugung, Netz und Vertrieb bei integrierten Energieversorgungsunternehmen zusammen. Eigenständige ÜNB entstanden. Die Unternehmen verfügten weiterhin über ein „natürliches Monopol“, wurden dafür aber einer neuen Regulierung unterworfen. Die Funktion als nationale Regulierungsbehörde übernahm ab 2005 in Deutschland die Bundesnetzagentur.
Am 13. Juli 2009 leitete das dritte Liberalisierungspaket endgültig die institutionelle Unabhängigkeit der ÜNB von den Mutterhäusern ein. Zugleich entstand mit ACER eine europäische Behörde, die die Zusammenarbeit der nationalen Regulierungsbehörden koordiniert. Sie wirkt auch an der Erarbeitung europäischer Netzvorschriften – der sogenannten Netzkodices – mit, welche die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der ÜNB regeln, Anschlussregeln vorgeben und das europäische Marktdesign spezifizieren. Parallel wurde 2009 mit ENTSO-E der Verband Europäischer Übertragungsnetzbetreiber gegründet, um als Schnittstelle zwischen europäischen Regulierungsinstanzen, Stakeholdergruppen und den ÜNB zu fungieren.
Die europäische Energieunion
Europas Energiesystem ist in eine neue Entwicklungsphase eingetreten. Bis zum Jahr 2050 will die EU ihre Treibhausgasemissionen um 80 Prozent gegenüber dem Stand von 1990 senken. Ein wichtiger Baustein dafür sind die erneuerbaren Energien. Sie sollen bis 2030 mindestens 27 Prozent des Energieverbrauchs decken. Dabei liegt es in der Verantwortung der europäischen Netzbetreiber, die schwankenden Mengen des oft dezentral erzeugten regenerativen Stroms optimal zu transportieren beziehungsweise auszugleichen, ohne dabei die Systemsicherheit zu beeinträchtigen. Denn der Umbau des Energiesystems hat dazu geführt, dass immer größere Energiemengen über immer längere Strecken transportiert werden – eine Aufgabe, für die die Stromnetze ursprünglich nicht ausgelegt waren. Daher ist ihr Ausbau europaweit erforderlich. Am Ende dieses Transformationsprozesses soll eine europäische Energieunion stehen, die eine sichere, bezahlbare und klimafreundliche Energieversorgung in Europa gewährleistet. Das im Dezember 2016 vorgestellte Clean Energy Package stellt einen weiteren Schritt auf dem Weg zu dieser Energieunion dar. Es wird derzeit noch zwischen den Mitgliedstaaten und dem Europäischen Parlament verhandelt.