Systemauftrennung im europäischen Stromnetz
Auslöser war nach derzeitigem Kenntnisstand die automatische Abschaltung („Auslösung“) eines 400-Kilovolt-Sammelschienenkupplers in der kroatischen Umspannanlage Ernestinovo um 14:04:25,9 Uhr. Diese führte dazu, dass zwei Sammelschienen in der Umspannanlage entkuppelt und somit die Stromflüsse aus südöstlicher in nordwestliche Richtung in der Umspannanlage unterbrochen wurden. Wie in Abbildung 1 zu erkennen, wurden somit zwei Leitungen von Ernestinovo in Richtung Nordwesten von den zwei Leitungen von Ernestinovo in Richtung Südosten getrennt. Dies betraf in nordwestlicher Richtung die Leitungen nach Zerjavinec (Kroatien) und nach Pecs (Ungarn). In südöstlicher Richtung waren die Leitungen nach Ugljevik (Bosnien-Herzegowina) und nach Sremska Mitrovica (Serbien) betroffen.
Abbildung 1: Abschaltung von zwei Sammelschienen in Ernestinovo
Abbildung 2: Abschaltung von weiteren Netzelementen nach den Abschaltungen in der Umspannanlage Ernestinovo
Abbildung 4: Die Frequenz im europäischen Verbundnetz während der Vorfälle am 8. Januar direkt nach der Störung und kurz vor der Resynchronisierung
Abbildung 5: Frequenz in Kontinentaleuropa während der Ereignisse des 8. Januar (gesamter Zeitraum)
Was ist eine Systemauftrennung?
Die Stromnetze in Kontinentaleuropa sind elektrisch verbunden und werden synchron mit derselben Frequenz von 50 Hertz betrieben. Ein Vorfall am 8. Januar 2021 führte zur Auftrennung des Netzes in zwei Teilnetze. Das Teilnetz in Südosteuropa war zeitweilig vom restlichen europäischen Netz getrennt und musste unabhängig betrieben werden.
Ist dies die erste Systemauftrennung in Europa?
Das europäische Stromsystem ist eines der größten Stromsysteme der Welt – sowohl bezogen auf seine räumliche Ausdehnung als auch auf die Zahl der belieferten Endkunden. Diese Art von Systemauftrennung kann in jedem Stromnetz vorkommen. Die Widerstandsfähigkeit des Stromsystems sowie das Maß an Vorbereitung bei der Netzführung sind entscheidend, um die Auswirkungen eines solchen Vorfalls auf ein Minimum zu begrenzen. Eine Auftrennung des Netzgebietes fand in Kontinentaleuropa zuletzt am 4. November 2006 statt. In diesem Fall waren die Auswirkungen jedoch deutlich gravierender als am 8. Januar 2021. Die europäischen ÜNB nahmen die Vorfälle im Jahr 2006 zum Anlass für umfassende Analysen. Hieraus entstanden neue und umfassende Sicherungssysteme wie das Warnsystem „European Awareness System“ (EAS), das es den europäischen ÜNB ermöglicht, sich gegenseitig über Beobachtungen und Vorfälle im Netzbetrieb zu informieren. Somit können sie sofort reagieren, sollte ein ungewöhnlicher Netzzustand auftreten. Dank dieser Maßnahmen sind die europäischen ÜNB heutzutage gut auf solche Vorkommnisse vorbereitet und können diese schnell und koordiniert beheben, wenn sie auftreten. Das begrenzt die Auswirkungen solcher Vorkommnisse. Am 8. Januar erlaubte dieses Maß an Kooperation die beiden Teilnetze in rund einer Stunde wieder zusammenzuführen.
Wie werden Gegenmaßnahmen bei Frequenzabweichungen in Europa koordiniert?
In Europa gibt es Prozesse, die aktiviert werden, wenn es zu einer großen Frequenzabweichung kommt, bei der Schäden wie Ausfälle drohen. Die ÜNB Amprion (Deutschland) und Swissgrid (Schweiz) sind verantwortlich für diese Prozesse. Sie sind die „Frequenzkoordinatoren“ (Synchronous Area Monitor, SAM) für Europa. Im Falle einer deutlichen Frequenzabweichung informieren sie alle europäischen ÜNB über das Warnsystem EAS und leiten die entsprechenden Prozesse ein. Sie koordinieren die Gegenmaßnahmen schnell und effizient und stellen so sicher, dass das System schnellstmöglich stabilisiert wird. Ein Teil dieser Prozesse ist eine Telefonkonferenz zwischen den größten europäischen Netzbetreibern Amprion, Swissgrid, RTE (Frankreich), Terna (Italien) und REE (Spanien). Am 8. Januar erfolgte diese Konferenz um 14:09 Uhr. In dieser Konferenz erörterten die Teilnehmer den Zustand des Netzes und die Maßnahmen, die bereits eingeleitet waren. Die ÜNB in den beiden Teilnetzen kooperierten darüber hinaus, um die beiden Teilnetze wieder zusammenzuführen
Wurden Endkunden vom Netz getrennt? Gab es weitere Auswirkungen?
Im nordwestlichen Teilnetz wurden Endkunden mit einer Gesamtleistung von rund 70 MW vom Netz getrennt. Im südöstlichen Teilnetz kam es zu Trennungen in Höhe von 163 MW. Durch die hohe Widerstandskraft des Verbundnetzes und die schnelle Reaktion der ÜNB waren die Versorgungssicherheit und die Systemstabilität nicht in Gefahr. Einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung des Systems leisteten die Industrieanlagen in Italien und Frankreich, die entsprechend ihrer vertraglichen Verpflichtungen vom Netz gingen. Diese Verträge erlauben es den ÜNB, die entsprechenden Anlagen sofort vom Netz zu nehmen, wenn die Frequenz unter einen vorher vereinbarten Wert fällt.
Was ist eine Sammelschiene?
Eine Sammelschiene ist ein Bestandteil einer Umspannanlage. Sie lässt sich mit einer Mehrfachsteckerleiste vergleichen und verbindet verschiedene Schaltfelder miteinander. Die meisten Umspannanlagen enthalten mehrere Sammelschienen. So können Stromkreise oder Transformatoren bedarfsgerecht flexibel in getrennten Gruppen zusammengeschaltet und somit die Leistungsflüsse im Netz besser gesteuert werden.
Gibt es spezielle Schutzgeräte in Umspannanlagen?
Es gibt verschiedene Schutzgeräte, die vor Schäden in Umspannanlagen schützen. Eines davon ist der Überstromschutz. Er sorgt dafür, dass sich eine Leitung automatisch abschaltet, wenn der Stromfluss so stark wird, dass er die Leitung beschädigen würde. Wenn der Stromfluss stärker ist als es das Material der Leitung (Stahlkern mit Aluminium-Ummantelung) aushält, kommt es zu physischen Schäden an der Leitung. Im schlimmsten Fall könnte die Leitung dann ohne dieses Schutzgerät reißen und abstürzen, ohne dass der Strom vorher abgestellt wurde. Dies stellt eine Gefahr für Menschen und Güter dar. Ein weiteres Schutzgerät ist der Distanzschutz. Er misst kontinuierlich Stromflüsse und Spannungen und schaltet selektiv beispielsweise geschützte Leitungen oder Transformatoren ab, wenn es in der Nähe dieser Geräte zu Störungen im Netz kommt.
Was sind die nächsten Schritte bei der Untersuchung der Vorfälle vom 8. Januar?
Entsprechend Artikel 15 der EU-Regulierung 2017/1485 wird bei einem Vorfall wie am 8. Januar eine Expertenkommission einberufen. Sie erstellt einen Bericht über die Vorkommnisse und leitet daraus – sofern notwendig – weitere Schritte ab, die dazu beitragen können, ein vergleichbares Ereignis in Zukunft zu vermeiden. Die Kommission besteht aus Fachleuten der ÜNB. Experten aus den Reihen der nationalen Regulierungsbehörden und der europäischen Regulierungsbehörde ACER sind eingeladen, sich an der Aufklärung zu beteiligen. Das weitere Vorgehen, der Zeitrahmen sowie der endgültige Veröffentlichungstermin für den abschließenden Untersuchungsbericht sowie weitere wichtige Informationen werden auf der Entso-E-Website bekanntgegeben.