Elia und Amprion vereinbaren Zusammenarbeit für zweite deutsch-belgische Stromverbindung
Seebrügge | Die deutschen und belgischen Übertragungsnetzbetreiber Amprion und Elia haben eine Absichtserklärung (Memorandum of Understanding, MoU) zum Bau einer zweiten grenzüberschreitenden Stromverbindung, eines sogenannten Interkonnektors, unterzeichnet. Studien im Vorfeld haben gezeigt, dass ein zweiter Interkonnektor dazu beitragen kann, den zukünftigen Energiebedarf beider Länder zu decken. Damit zahlt er sich wirtschaftlich für die Bevölkerung in Belgien und Deutschland – sowie in ganz Europa – aus. Bis Mitte 2024 wollen Amprion und Elia ein Konzeptpapier vorlegen, das als Grundlage für die weitere Ausarbeitung und Entwicklung des Projekts dienen wird.
Erster Schritt in einem langen Prozess
Die Unterzeichnungszeremonie für das MoU fand vor dem Hintergrund des heutigen belgisch-deutschen Energiegipfels in Zeebrugge statt. Zu dessen Teilnehmenden zählten der belgische Premierminister Alexander De Croo, Bundeskanzler Olaf Scholz, die belgische Energieministerin Tinne Van der Straeten sowie der Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, Dr. Patrick Graichen. Das MoU ist der erste Schritt in einem langen Prozess. Elia und Amprion erarbeiten jetzt in einer gemeinsamen Studie, mit welcher Konfiguration und Technologie sich die Projektziele am besten erreichen lassen. Ein Konzeptpapier hierzu wird voraussichtlich bis Mitte 2024 veröffentlicht.
Inbetriebnahme nicht vor 2037
Wie die endgültige Investitionsentscheidung ausfallen wird, hängt von mehreren Kriterien ab. So sollte das Projekt zum Beispiel zur Integration erneuerbarer Energien in die Energiesysteme beider Länder beitragen, ihre Versorgungssicherheit stärken und den europäischen Strommarkt positiv beeinflussen (Preiskonvergenz). Mit der Inbetriebnahme des Interkonnektors ist – ein positiver Business Case vorausgesetzt – erst nach 2037 zu rechnen. Zunächst müssen die inländischen Netze zusätzlich verstärkt werden, um den Interkonnektor optimal in das System zu integrieren.
„Gemeinsam wollen Elia und Amprion das europäische Energiesystem dekarbonisieren und die Versorgungssicherheit und Systemstabilität verbessern. Die Elektrifizierung spielt dabei eine entscheidende Rolle. Wir wissen bereits, dass eine klimaneutrale Energieversorgung in Europa einen deutlich höheren Strombedarf mit sich bringen wird. Um diesen Bedarf zu decken, müssen wir große Mengen erneuerbarer Energie in das Stromsystem integrieren und sie dorthin transportieren, wo sie benötigt wird. Deshalb ist der innereuropäische Energieaustausch besonders wichtig, um die Klimaziele zu erreichen. Entsprechend ist es unsere Aufgabe, die Stromtransportkapazität zwischen Belgien und Deutschland sowie in ganz Europa zu erhöhen. Ein wichtiger Meilenstein, um diese Ziele zu erreichen, ist die Realisierung eines zweiten Interkonnektors zwischen Belgien und Deutschland“, so Dr. Hendrik Neumann, CTO, Amprion.
„Die Studie der Elia Group zum Thema Elektrifizierung der Industrie hat gezeigt, dass die Elektrifizierung und der Zugang zu erneuerbaren Energien für langfristige Preisstabilität sorgen“, erläutert Chris Peeters, CEO, Elia Group. „Die Energiewende ist nicht nur klimawirksam, sondern wirkt sich auch sozioökonomisch positiv aus. Am Beispiel von (ALEGrO) (Aachen Lüttich Electricity Grid Overlay) konnten wir die Bedeutung und den Erfolg solcher Projekte bereits sehen. Wir wissen, dass weitere Interkonnektoren zwischen Belgien und Deutschland benötigt werden, und handeln umgehend, auch dank einer sehr guten Partnerschaft mit unseren Kolleginnen und Kollegen bei Amprion. Wir freuen uns darauf, am Bau einer Infrastruktur mitzuwirken, die für Belgien und Deutschland von strategischer Bedeutung ist.“
Großer Erfolg von ALEGrO
Die erste belgisch-deutsche Stromverbindung ALEGrO ging im November 2020 in Betrieb und bildet einen wichtigen Baustein für den Aufbau eines integrierten europäischen Stromnetzes. Seit der Inbetriebnahme fand zwischen beiden Ländern ein Stromaustausch im Umfang von 10 TWh statt. 2022 ermöglichte ALEGrO einen Stromaustausch von 5 TWh zwischen Belgien und Deutschland. Während 63 Prozent des Jahres floss dabei Strom nach Belgien, nach Deutschland während 37 % des Jahres.
Energiesystem nachhaltiger und unabhängiger machen
Durch den Krieg in der Ukraine wurde deutlich, dass Energie eine kostbare Ressource von strategischer Bedeutung ist. Die Europäische Kommission bestätigte dies im Mai 2022 mit der Veröffentlichung des REPowerEU-Plans, der Europa unabhängiger von russischem Gas machen und auf Basis des EU-Klimaschutzpakets Fit For 55 noch ambitioniertere Energieziele setzen soll. Elia und Amprion zufolge ist es entscheidend für die Energiewende, schneller zusätzliche Onshore- und Offshore-(Hybrid)-Interkonnektoren zu entwickeln. Denn diese unterstützen die Energiesysteme im Hinblick darauf, steigende Mengen erneuerbarer Energie zu integrieren.
Interkonnektoren bieten zahlreiche Vorteile
Europas Potenzial für erneuerbare Energien ist über den Kontinent ungleich verteilt, sodass Länder wie Belgien und Deutschland auf erneuerbare Energiequellen anderer europäischer Länder zurückgreifen müssen, um ihren künftigen Strombedarf zu decken. Interkonnektoren bieten hier mehrere Vorteile: Sie erleichtern den europaweiten Zugriff auf erneuerbare Energien und flexible Versorgungsmöglichkeiten, zum Beispiel große Wasserkraftwerke, und gleichen lokale Schwankungen bei der Windkraftversorgung aus. Dies verbessert die Versorgungssicherheit und flacht die Preiskurven zwischen den verschiedenen Märkten ab.
Kosten-/Nutzenverhältnis ab 2035
Vorläufige Ergebnisse haben bereits gezeigt, dass das Kosten-/Nutzenverhältnis eines zweiten belgisch-deutschen Interkonnektors ab 2035 positiv ausfallen würde. Das Projekt wurde deshalb im Rahmen des 2021 vorgelegten deutschen Netzentwicklungsplans genehmigt. Die föderalen Entwicklungspläne Belgiens für 2020-2030 und 2024-2034 sowie der Zehnjahresplan zur Netzentwicklung (Ten-Year Network Development Plan, TYNDP) des Verbands Europäischer Übertragungsnetzbetreiber (ENTSO-E) bestätigen ebenfalls, dass von einem Interkonnektor positive Ergebnisse zu erwarten sind. So leistet er demzufolge einen Beitrag zur Sicherung des sozioökonomischen Status in beiden Ländern (sowie in ganz Europa), trägt zur Reduzierung der CO2-Emissionen bei und unterstützt bei der Integration wachsender Mengen erneuerbarer Energie in das Netz.