Phänomen zur vollen Stunde

Netzbetrieb
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Das Bild zeigt eine Stromtrasse und Windräder in einem grünen Feld - im Hintergrund ein Kraftwerk
Warum um 6 Uhr und um 21 Uhr häufig die Frequenz im europäischen Stromnetz abweicht.

Das europäische Verbundnetz schwingt mit einer Frequenz von 50 Hertz . Im Alltag weicht die gemessene Netzfrequenz kaum von diesem Richtwert ab, außer wenn größere Störungen auftreten. Dies kann etwa passieren, wenn ein größeres Kraftwerk ausfällt. Seit einigen Jahren sehen die Übertragungsnetzbetreiber aber auch zu Stundenwechseln kurzzeitige Frequenzabweichungen, die sich nicht durch größere Störungen erklären lassen und innerhalb weniger Minuten wieder verschwinden. Wie lässt sich dieses Phänomen erklären?

Wie viel elektrische Energie über die Netze transportiert wird, hängt maßgeblich von den Handelsgeschäften zwischen Stromerzeugern und -verbrauchern ab. Der Markt ist virtuell, im Netz bestimmt die Physik, wie der Strom tatsächlich von Erzeugern zu Verbrauchern durch Europa fließt – von Portugal bis in die Türkei und von Dänemark bis Italien. Häufig laufen Stromlieferverträge über volle Stunden und starten beziehungsweise enden zur selben Uhrzeit. In Europa sind dabei meist die Stundenwechsel um sechs Uhr sowie um 21 Uhr relevant. Zu diesen Zeitpunkten treten Frequenzabweichungen besonders häufig auf.

Kraftwerke reagieren unterschiedlich schnell

Die Frequenz im Netz weicht ab, wenn Einspeisung und Entnahme von elektrischer Energie seitens der Erzeuger und der Verbraucher nicht vollständig ausgeglichen sind. Wird mehr Strom in das Netz eingespeist als verbraucht, steigt die Frequenz. Umgekehrt sinkt sie, wenn mehr Strom verbraucht als eingespeist wird. Zum Stundenwechsel um 21 Uhr gehen meistens besonders viele Kraftwerke vom Netz und damit aus dem Markt, da nachts weniger Strom verbraucht wird. Allerdings reagieren die unterschiedlichen Anlagen zur Stromerzeugung nicht alle gleich schnell. Pumpspeicherwerke können ihre Erzeugung innerhalb von Minuten oder sogar Sekunden verändern. Kohle- oder Gaskraftwerke brauchen hingegen mehr Zeit, um ihre Einspeisung zu regulieren. So können kurze Lücken zwischen den Handelsgeschäften auf dem Strommarkt und der tatsächlich im Netz verfügbaren Menge an Strom entstehen.

Wenn zum Beispiel einige Kraftwerke schnell ausgeschaltet werden und andere nur langsam anfahren, fehlt dem System für einige Minuten Strom und die Frequenz fällt.

Die Grafik zeigt die Leistung von zwei Kraftwerken (Kraftwerk A und Kraftwerk B) über die Zeit in Megawatt (MW).
Kraftwerk B (lila Linie) fährt seine Leistung gegen 21 Uhr schnell herunter.
Kraftwerk A (blaue Linie) erhöht seine Leistung danach schrittweise.
Der Bereich zwischen den beiden Kurven, der mit hellblauer Farbe markiert ist, stellt die fehlende Leistung dar, die entsteht, während Kraftwerk B seine Leistung reduziert und Kraftwerk A noch nicht die volle Kapazität erreicht hat.
Die Grafik visualisiert den zeitlichen Übergang und die dadurch entstehende Leistungsdifferenz im Stromnetz.

Schlägt die Frequenz nach oben aus, passiert das Gegenteil: Einige Erzeuger speisen in wenigen Minuten voll ins Netz ein, während andere langsam herunterfahren – und es gibt für einige Minuten einen Stromüberschuss. Umgekehrt können auch Verbraucher solche kurzen Lücken verursachen, wenn sie schneller oder langsamer ihre Stromentnahme anpassen als die Erzeugungsanlagen, die den Strom liefern.

Frequenzabweichungen regeln: Aufgabe der Übertragungsnetzbetreiber

Das europäische Verbundnetz ist eines der größten zusammenhängenden Stromnetze der Welt. Bei den Frequenzabweichungen zum Stundenwechsel kommen daher Effekte aus ganz Europa zum Tragen, die zu einer Abweichung vom Richtwert 50 Hertz führen können. Dann ist es die Aufgabe der Übertragungsnetzbetreiber, die Netzfrequenz schnell und gezielt zu regeln. Ihr wichtigstes Instrument dafür ist die sogenannte Regelreserve . Dahinter verbergen sich ständig einsatzbereite Kraftwerke, die je nach vereinbarter Einsatzweise binnen 30 Sekunden, fünf oder 15 Minuten ihre Einspeisung erhöhen oder senken können – bis sich Einspeisung und Verbrauch wieder eingependelt haben.

Regelreserve für Notfälle

Zurzeit steht den Übertragungsnetzbetreibern genug Regelreserve zur Verfügung, um den Stundenwechsel zu puffern. Käme jedoch zum Zeitpunkt eines Stundenwechsels eine weitere größere Störung hinzu, die sich auf die Frequenz auswirkt, könnte die Reserve knapp werden.

Daher beobachten die europäischen Übertragungsnetzbetreiber die Frequenzabweichungen aktuell sehr genau. Gemeinsam erarbeiten sie Lösungen, um den unerwünschten Effekt zum Stundenwechsel abzumildern oder sogar ganz zu vermeiden. Eine Möglichkeit wäre es, den Stromhandel europaweit in Spannen von 15 Minuten zu ermöglichen – wie es unter anderem in Deutschland bereits gehandhabt wird. So würden sich die Kraftwerkseinsätze zum Stundenwechsel automatisch entzerren. Im Projekt Cross-Border Intraday (XBID) arbeiten die deutschen Übertragungsnetzbetreiber mit ihren europäischen Partnern daran, diesen Handel in 15-Minuten-Abständen in Europa möglich zu machen.