Klimaneutral bis 2050 – die Europäische Union hat sich viel vorgenommen. Mit dem Energieexperten Dr. Rainer Quitzow und der Europaabgeordneten Prof. Dr. Angelika Niebler sprachen wir über Herausforderungen und Erfolgsfaktoren der europäischen Energiewende – und welche Rolle die Übertragungsnetzbetreiber dabei spielen.
Herr Dr. Quitzow, die EU will bis 2050 klimaneutral werden. Ist das zu schaffen – und was muss die Politik tun?
Natürlich ist das zu schaffen – auch wenn es am Ende bedeuten wird, verbleibende Treibhausgasemissionen etwa aus der Landwirtschaft zu kompensieren. Die wichtigste Aufgabe der Politik wird sein, Kosten und Nutzen des Übergangs so zu verteilen, dass sozial tragfähige Lösungen entstehen. Dann wird die Bevölkerung die Transformation akzeptieren. Denn darin liegt zugleich die größte Hürde.
Wie sieht für Sie ein klimaneutrales Energiesystem 2050 aus?
Kern eines zukunftsfähigen Energiesektors ist ein vollständig dekarbonisierter Stromsektor. Das ist die Grundlage, um über die Sektorenkopplung und die Herstellung von Wasserstoff die CO2-Emissionen auch in anderen Sektoren wie etwa dem Verkehr zu senken. Besonders wichtig ist hier, dass sich im Rahmen dieses Übergangs weitere Geschäftsmodelle entwickeln, die zu einem flexiblen Energiesystem beitragen.
Welche Rolle spielen dabei Übertragungsnetzbetreiber wie Amprion?
Ein dekarbonisierter Stromsektor geht natürlich nur, wenn die Übertragungsnetzbetreiber den Netzausbau vorantreiben. Sie sollten aber auch jenseits des gesetzlichen Auftrags aktiv werden. Denn sie haben einen Gestaltungsauftrag. Diesen sollten sie nutzen, um politische Rahmenbedingungen mitzugestalten. Dabei geht es vor allem um soziale und politische Innovationen – gerade mit Blick auf die Widerstände beim Netzausbau. Damit meine ich etwa, Beteiligungsformate zu entwickeln, bei denen auch wirklich alle Betroffenen die Möglichkeit bekommen, sich einzubringen.
Frau Prof. Dr. Niebler, wie steht es um die Energiewende in der Europäischen Union?
Gerade beim Klimaschutz ist es wichtig, dass wir in Europa vorangehen – denn das lässt auch andere Staaten und Regionen ambitionierter werden. Mit dem Green Deal sind hierfür die Weichen gestellt worden – und auch die Mittel des europäischen Wiederaufbaufonds sind zu einem großen Teil an klimapolitische Maßnahmen geknüpft. Mit dem Emissionshandel, der auf die Sektoren Verkehr und Gebäude ausgeweitet werden soll, haben wir zudem bereits ein seit Jahren effektives marktwirtschaftliches Instrument zur Hand, das dazu anhält, unsere Emissionen immer weiter zu reduzieren.
Was sind zentrale Erfolgsfaktoren der Energiewende?
Für Europa ist die Energiewende ein gewaltiger Umbau und bedarf einer enormen Transformationsleistung in allen Bereichen. Deshalb ist zuallererst die Zusammenarbeit entscheidend – und zwar zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Politik bis hin zur kommunalen Ebene. Nur so lässt sich beispielsweise der europäische Strommarkt weiter stärken. Dieser ist von zentraler Bedeutung auf dem Weg zu einem klimaneutralen Europa – auch mit Blick auf den enorm steigenden Strombedarf. Das geht vor allem durch den Ausbau und die Stabilisierung der Netzinfrastruktur sowie die Integration smarter Lösungen ins Netz.
Sie sprechen den Netzausbau an. Worauf kommt es aus Ihrer Sicht an, damit dieser schneller vorangeht?
Um den Netzausbau voranzubringen, müssen die Planverfahren beschleunigt und verschlankt werden – gerade in Deutschland. Dafür sollte auch die Europäische Union und konkret die EU-Kommission etwas mutigere Vorschläge machen. Denn nicht zuletzt führt ein schnellerer Netzausbau auch dazu, dass die Energiewende sozialverträglich gelingt – und Strom bezahlbar bleibt.