Offshore-Windkraft ist die neue Kohle

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Die Großkraftwerke für Nordrhein-Westfalen stehen künftig in der Nordsee. Vor allem Offshore-Windparks werden langfristig die Energie für die Industrie des Bundeslandes liefern. Damit dieser Wandel gelingt, wird Amprion sein Übertragungsnetz ausbauen – und gemeinsam mit Betreibern von Windparks und Kraftwerken an der neuen Energiewelt zwischen Rhein und Ruhr bauen.

An der ostfriesischen Küste weht an diesem Tag nur eine leichte Brise. Doch weit draußen im Meer bläst es kräftig. Dort drehen sich Hunderte von Windrädern und erzeugen Strom. In den kommenden Jahren soll ihre Zahl deutlich zunehmen. „Die Offshore-Windkraft wird zum tragenden Pfeiler unserer Energieversorgung“, sagt Stefan Thimm, Geschäftsführer des Bundesverbands Windparkbetreiber Offshore.

Ein Mann mit kurzen, dunkelblonden Haaren und einer schwarzen Brille schaut ernst in die Kamera. Er trägt ein schwarzes Jackett über der Schulter und steht vor einem ruhigen, verschwommenen Hintergrund aus Himmel und Wasser. Im unscharfen Vordergrund ist die Schulter eines anderen Mannes zu sehen, der ein helles Hemd trägt.

Die Offshore-Windkraft wird zum tragenden Pfeiler unserer Energieversorgung.

Stefan Thimm

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Geschäftsführer des Bundesverbands Windparkbetreiber Offshore (BWO)

Er vertritt eine Branche, die anpacken will. Das gilt auch für ihn selbst. Wir treffen den 44-Jährigen am Nordseedeich in der Nähe von Emden. Beim Gespräch trägt er Jeans, das Hemd über der Hose, Ärmel hochgekrempelt. Immer wieder reist Stefan Thimm von Berlin an die Küste, wo sich Betreiber von Windparks niedergelassen haben. Sie haben große Pläne. Schließlich will die Bundesregierung, dass sich 2045 in Nord- und Ostsee Windräder mit einer Kapazität von 70 Gigawatt drehen. Das ist knapp zehn Mal so viel wie heute und entspricht der Leistung von rund 87 Kohlekraftwerken.

Auch Industrieunternehmen drängen auf den Ausbau der erneuerbaren Energien. Nur mit gigantischen Mengen an grünem Strom können sie auf fossile Brennstoffe verzichten, ihre Klimaziele erreichen und damit Beschäftigung und Wohlstand sichern. Die Offshore-Windkraft spielt dabei eine Schlüsselrolle. Dank des beständigen Luftstroms auf hoher See erzeugt eine Anlage dort im Schnitt doppelt so viel Energie wie ein Windrad an Land. „Keine nachhaltige Energiequelle in Europa ist so ergiebig“, sagt Thimm.

Er dreht sich um und blickt in die flachen Weiten Ostfrieslands. Dort ist der Strombedarf gering. Ganz anders als in den Industrieregionen Nordrhein-Westfalens, die Hunderte Kilometer entfernt liegen. „Wir brauchen deshalb dringend mehr Leitungen, die den grünen Strom von der Küste dorthin bringen, wo er gebraucht wird“, so Thimm. Die Zusammenarbeit mit Übertragungsnetzbetreibern wie Amprion ist für ihn ein wichtiger Faktor für den Erfolg der Energiewende.

Ein ruhiger Sandstrand mit mehreren Menschen, die die Küste genießen. Ein grüner Sonnenschirm und ein paar Stühle stehen in der Nähe des Wassers. Links stehen Personen im flachen Wasser, während rechts zwei Menschen auf dem Sand sitzen. Im Hintergrund fährt ein rotes Schiff über das ruhige Meer. Der Horizont ist leicht neblig, und am rechten Rand sind Windräder zu erkennen. Der Himmel ist klar und hell.

Amprion baut die neuen Lebensadern für NRW

Bislang erstreckte sich das Netz von Amprion nur auf dem Festland. Doch seit 2019 entwickelt sich das Unternehmen zu einem bedeutenden Player auch im Offshore-Geschäft: Derzeit arbeiten die Ingenieur*innen an fünf Projekten, um Windstrom von der Nordsee an Land zu bringen. 2028 gehen die ersten Offshore-Leitungen in Betrieb. Sie werden mehrere Windparks, die bis zu rund 130 Kilometer weit draußen im Meer liegen, an das Übertragungsnetz anbinden. Die Leitungen sollen so viel Energie transportieren, wie eine Großstadt wie Hamburg benötigt, und werden die ostfriesische Insel Norderney unterqueren. Die Bohrarbeiten haben im Juli 2022 begonnen. Von der Küste geht es weiter per Erdkabel bis Lingen im Emsland, wo die neuen Leitungen mit dem bestehenden Übertragungsnetz verbunden werden.

Ein Mann mit kurzen, grauen Haaren steht lächelnd in einem modernen Bürogebäude. Er trägt einen dunkelblauen Anzug, ein hellblaues Hemd und eine gestreifte Krawatte. Der Hintergrund zeigt große Fenster und Glaswände, die viel Licht hereinlassen.

Damit schaffen wir die Grundlage für eine klimaneutrale Wirtschaft an Rhein und Ruhr.

Peter Barth

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Geschäftsführer der Amprion Offshore GmbH

Allein bis 2026 wird Amprion vier Milliarden Euro ins Offshore-Geschäft investieren. „Damit schaffen wir die Grundlage für eine klimaneutrale Wirtschaft an Rhein und Ruhr“, sagt Peter Barth, Geschäftsführer der Amprion Offshore GmbH. Der 57-Jährige hat den neuen Unternehmensbereich mit Sitz in Dortmund und Hamburg mit aufgebaut. Die Zahl der Beschäftigten – aktuell sind es rund 180 – soll sich in den kommenden Jahren verdoppeln. „Die neuen Anbindungssysteme werden wichtige Lebensadern für die Region und ganz Nordrhein-Westfalen“, sagt Barth. Und rechnet vor: Wenn alle von seinem Unternehmen vorgesehenen Projekte in Betrieb sind, wird mehr als die Hälfte der von NRW benötigten Energie durch Offshore-Leitungen von Amprion transportiert.

Ein großes Kraftwerk mit einem hohen Kühlturm, aus dem dichter weißer Dampf aufsteigt, steht am Ufer eines Flusses. Vor dem Kraftwerk befinden sich Bäume und eine schmale Landzunge. Ein Frachtschiff fährt auf dem Fluss entlang. Strommasten und Hochspannungsleitungen verlaufen rechts im Bild, während der Himmel klar und blau ist.

Alte und neue Energiewelt in Duisburg

Grünstrom ist ein wichtiger Standortfaktor. Die Stahlwerke, Chemiefabriken, Aluminiumschmelzen und Zementhersteller zwischen Duisburg und Leverkusen benötigen künftig gigantische Mengen an erneuerbarer Energie, um klimaneutral zu produzieren und damit die Forderungen von Investoren, Gesellschaftern und Politik zu erfüllen. Jahrzehntelang lieferte vor allem Stein- und Braunkohle die in Nordrhein-Westfalen benötigte Energie. Doch diese Ära neigt sich dem Ende zu. Geplant ist, dass Kohlekraftwerke in Deutschland spätestens ab 2038 nur noch in Betriebsbereitschaft laufen, um das Netz in angespannten Situationen zu stabilisieren − zum Beispiel, wenn bei ungünstigem Wetter der Strom aus Sonne und Wind nicht reicht, um den Verbrauch zu decken.

Ein Mann mit Brille und hellem Helm, auf dem „steag“ steht, steht vor einem großen Industriegebäude mit senkrechten Strukturen. Er trägt ein weißes Hemd und gestikuliert erklärend mit beiden Händen, während er lächelnd in eine Richtung blickt.

Alte und neue Energiewelt treffen bei uns aufeinander.

Peter Weiß

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Leiter Asset Management bei der STEAG

Stellvertretend für die Zeitenwende im Ruhrgebiet steht der Energieerzeuger STEAG. Das Unternehmen mit Sitz in Essen betreibt unter anderem sechs Steinkohlekraftwerke in Deutschland. Das modernste steht im Duisburger Stadtteil Walsum. Schon von Weitem ist die Dampfwolke über dem Kühlturm zu sehen. Der Dampferzeuger ist so groß wie ein Hochhaus und die Temperaturen im Feuerraum erreichen bis zu 1600 Grad Celsius. Der Dampf treibt eine Turbine und die wiederum einen Generator an. Der so erzeugte Strom reicht für circa 1,3 Millionen Haushalte.

Peter Weiß, Leiter Asset Management der STEAG, hat die Anlage mitgeplant und ihren Bau verantwortet. Fossile Kraftwerke haben ihn viele Jahre seines Lebens begleitet, auf der ganzen Welt. In Kolumbien leitete der heute 54-jährige Ingenieur jahrelang selbst ein Kohlekraftwerk. „Eine der herausforderndsten Tätigkeiten in meinem Leben, weil ich damals gerade 33 Jahre alt war“, sagt er beim Rundgang durch das Duisburger Werk. Doch er wäre nicht Peter Weiß, wenn er nicht die Chancen der neuen Energiewelt erkennen würde. Derzeit arbeitet er auch an innovativen Speicheranlagen für Grünstrom, an dem Einsatz von Wasserstoff in Gasturbinen und an klimaneutralen Fernwärmesystemen. „Alte und neue Energiewelt treffen bei uns aufeinander“, sagt Weiß. Zudem werde der Walsumer Block womöglich bald nicht mehr mit Kohle, sondern mit Pellets aus Holzabfällen befeuert. Das senkt Emissionen: Die Pellets geben beim Verbrennen nur so viel CO2 ab, wie die Bäume beim Wachsen aufgenommen haben. „Dafür sind nur wenige technische Anpassungen notwendig“, erklärt Weiß. Die 130 Beschäftigten des Kraftwerks könnten so nahtlos weiterarbeiten. Für die Umstellung auf Pellets sind laut Weiß allerdings verlässliche energiewirtschaftliche Rahmenbedingungen und eine sichere Brennstoffversorgung nötig.

Eine Frau mit kurzen, rötlichen Haaren und Brille steht mit verschränkten Armen auf einer Baustelle oder einem Industriegelände. Sie trägt eine weiße Bluse mit buntem floralen Muster und blickt selbstbewusst in die Ferne. Im Hintergrund sind Strommasten, Bauzäune und ein Industriegebäude zu sehen. Der Himmel ist klar und blau.

Für die Produktion von grünem Wasserstoff sind große Mengen an Strom aus erneuerbaren Quellen nötig.

Stefanie Rehpöhler

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Leiterin für die Entwicklung von Großprojekten bei der STEAG

An der neuen Energiewelt in NRW arbeitet auch Stefanie Rehpöhler mit. Die 53-jährige Ingenieurin leitet im neuen, „grünen“ Bereich der STEAG die Abteilung für die Entwicklung von Großprojekten. Auf dem Industriegelände in Duisburg-Walsum plant sie ein ehrgeiziges Zukunftsprojekt: Wenn alles glatt läuft, soll hier bald ein sogenannter Elektrolyseur stehen. Die Anlage – so groß wie mehrere Fußballfelder – soll Wasser mit Hilfe von Offshore-Strom in grünen Wasserstoff umwandeln. Auf den sind weite Teile der Industrie angewiesen, um künftig klimaneutral zu produzieren. „Für die Produktion von grünem Wasserstoff sind große Mengen an Strom aus erneuerbaren Quellen nötig“, sagt Rehpöhler. Das funktioniert am besten mit einem direkten Zugang zum Übertragungsnetz von 380.000 Volt. Amprion plant deshalb gleich neben dem Elektrolyseur eine neue Umspannanlage.

Ein weitläufiges, unbebautes Gelände mit spärlichem Grasbewuchs und kleinen Sträuchern. Im Hintergrund stehen mehrere Strommasten mit zahlreichen Leitungen, die den Himmel durchziehen. Rechts im Bild ist ein großes Kraftwerk mit einem markanten Kühlturm zu sehen, aus dem weißer Dampf aufsteigt. Das Wetter ist sonnig mit einem klaren blauen Himmel.

Über den grünen Wasserstoff würde sich vor allem die Stahlindustrie des Ruhrgebiets freuen, deren Hochöfen von Walsum aus gut zu sehen sind. Bislang dienen dort Eisenerz und Kohle als Grundstoffe für die Roheisen- und Stahlerzeugung. Allerdings entstehen bei der klassischen Stahlerzeugung große Mengen CO2. Das neue Verfahren der Direktreduktion soll statt Kohle grünen Wasserstoff nutzen, um Eisen und Stahl klimaneutral herzustellen. „Grüner Stahl braucht grünen Wasserstoff, der wiederum grünen Strom benötigt“, bringt Peter Barth die Dinge auf den Punkt.

Grüner Strom aber braucht Infrastruktur. Für den Geschäftsführer der Amprion Offshore GmbH ist es auch deshalb keine Frage: Der Ausbau des Stromnetzes muss schneller gehen. Eine Alternative zum Windstrom sieht er nicht. „Ohne den massiven Einsatz von Windkraft werden wir weder den Energiebedarf der Industrie stillen noch den Klimawandel stoppen.“