In diesem Jahr hat Amprion erstmals mehr als eine Milliarde Euro in den Aus- und Umbau des Stromnetzes investiert. Bis 2030 sollen weitere 24 Milliarden in den Netzausbau fließen. Ludger Meier, Leiter Netzprojekte, über das Jahr 2020, Corona und die Fortschritte im Netzausbau.
Herr Meier, 2020 war in vielerlei Hinsicht ein besonderes Jahr. Welche Bilanz ziehen Sie für den Netzausbau?
Das war schon ein sehr sportliches Jahr! Bei uns werden so viele Genehmigungsverfahren, Leitungs- und Stationsbauprojekte durchgeführt, wie noch nie. Zum Vergleich: 2015 haben wir rund 250 Millionen Euro in den Netzausbau investiert, in diesem Jahr mehr als eine Milliarde – das Volumen hat sich vervierfacht. Auch die Anzahl der Projekte hat sich deutlich auf über 500 erhöht. Die Investitionen verteilen sich dabei jeweils ungefähr zur Hälfte auf Leitungen und Umspannanlagen. Wir haben große Fortschritte gemacht, trotz Corona.
Wie hat Corona den Netzausbau beeinflusst?
Durch die Pandemie mussten wir einiges bei den öffentlichen Terminen in den Genehmigungsverfahren und auf den Baustellen verändern, vor allem, um die Hygiene- und Abstandsregeln konsequent einhalten zu können. Nicht alle Kolleginnen und Kollegen können einfach mobil von zu Hause arbeiten – rund die Hälfte der Projekt- und Betriebsmannschaft muss weiter raus und dafür sorgen, dass alles läuft. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und die Fremddienstleister zu schützen, ist uns sehr wichtig. Wir haben beispielsweise für die Durchführung von Anhörungen die Hygiene- und Abstandmaßnahmen im Detail ausgearbeitet und dafür Sorge getragen, dass das Ansteckungsrisiko minimiert wird. Entsprechende Hygienemaßnahmen haben wir auch auf den Baustellen eingeführt und separate Sanitär-, Arbeits- und Besprechungsräume eingerichtet, um dort auch unter Corona-Bedingungen sicher Arbeiten zu können. Unsere Maßnahmen haben gegriffen. Wir hatten bisher nur sehr wenige Infizierte und konnten eine Ausbreitung des Virus in unseren Teams verhindern.
Wie liegen die Projekte im Zeitplan?
Wir arbeiten derzeit an 535 Einzelmaßnahmen, von denen der weitaus überwiegende Teil im Zeitplan liegt. Daran hat auch Corona nichts geändert. Wir sind stolz darauf, unsere Projekte planmäßig vorantreiben zu können, obwohl dies unter den derzeitigen Bedingungen nicht selbstverständlich ist. Ein großer Dank gilt auch all unseren Dienstleistern und Lieferanten, die sich ebenso vorbildlich an die angepassten Prozesse gehalten und uns bei den Projekten so hervorragend unterstützt haben. Wir konnten mit gutem Projektmanagement und engagierter Teamarbeit drohende Projektverzüge auffangen. So ist uns zum Beispiel im Frühjahr, als es teilweise zu Import-Verzögerungen kam, der Nachschub an Material nicht ausgegangen, weil unsere Lager gut gefüllt waren.
Was waren Highlights in diesem Jahr?
Wir haben gemeinsam mit unseren Kolleginnen und Kollegen von Elia die erste Stromverbindung zwischen Deutschland und Belgien fertiggestellt – ALEGrO ist pünktlich im November in Betrieb gegangen. Das ist sicherlich ein Projekt mit Leuchtturmcharakter. Aber auch die „Brot-und-Butter“-Projekte, die weniger im Rampenlicht stehen, machen große Fortschritte – etwa die Projekte in den Umspannanlagen, in denen wir den Rückbau des 220-kV-Netzes vorantreiben und durch die leistungsfähigere 380-kV-Technik ersetzen. Zudem installieren wir Anlagen zur Blindleistungskompensation, sogenannte StatCom-Anlagen oder auch rotierende Phasenschieber. Auch mit den Arbeiten an den Freileitungsprojekten wie Rommelsbach – Herbertingen, Wehrendorf – St. Hülfe oder Kruckel – Dauersberg, um nur drei zu nennen, kommen wir voran. Gemeinsam mit der Unternehmenskommunikation und der Arbeitssicherheit wurden Corona-konforme Bürgerbeteiligungsformate und Online-Infotermine etabliert, so dass Planungs- und Genehmigungsverfahren fortgesetzt werden können. Wir haben 2020 sechs Planfeststellungsbeschlüsse erreicht. Rund 500 Leitungskilometer sind genehmigt. Das heißt, unsere Projekt-Pipeline hat sich weiter gefüllt und wir arbeiten mit Hochdruck an der Umsetzung der Vorhaben.
Amprion plant, bis 2030 rund 24 Milliarden Euro in den Netzausbau zu investieren – knapp neun Milliarden mehr als bisher vorgesehen. Woher kommt der große Sprung?
Das ergibt sich aus unserer gesetzlich verankerten Verantwortung zur Umsetzung der Energiewende. Die Politik hat eine deutliche Aufstockung im Bereich der Offshore-Windenergie beschlossen, daraus folgt ein entsprechender Zubaubedarf für das Übertragungsnetz. Um diesen zusätzlichen Windstrom einspeisen und zu den Verbrauchszentren transportieren zu können, benötigen wir zusätzliche Leitungsverbindungen. Die vier Übertragungsnetzbetreiber berechnen die Netzbedarfe und stellen den sogenannten Netzentwicklungsplan auf. Dieser wird von der Bundesnetzagentur geprüft und der notwendige Bedarf bestätigt. Darauf bauen wir dann unsere Investitionsplanung auf.
Die höheren Investitionen werden die Stromkunden belasten ...
Dennoch sind sie nötig, weil klimapolitisch und volkswirtschaftlich sinnvoll. Es liegt in unserer Verantwortung, den Umbau des Energiesystems effizient voranzutreiben und gleichzeitig die Systemstabilität und Systemsicherheit zu gewährleisten. Mit Blick auf den Kohleausstieg und die deutschen Klimaziele muss der Netzausbau weiter Tempo aufnehmen. Unsere Investitionen steigen weiter kontinuierlich an, doch wir werden nur so viel wie nötig investieren, nicht so viel wie möglich.
Wie gut ist Amprion für die zusätzliche Dynamik beim Netzausbau gewappnet?
Wenn ein Unternehmen das schafft, dann Amprion. Wir haben eine solide Basis geschaffen, auf der wir gut aufbauen können. Die Geschäftsführung hat den Mut gehabt, frühzeitig Personal einzustellen, und auch die Zeit für die Einarbeitung bedacht. Dieses Jahr hat gezeigt: Wir können es! Wir haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und das Know-how – alle Kolleginnen und Kollegen ziehen an einem Strang, um das Energiesystem für die erneuerbaren Energien anzupassen. Wenn wir mit Augenmaß weiter so agieren, bin ich guter Dinge.