Amprion und Open Grid Europe (OGE) treiben die Power-to-Gas-Technologie voran. hybridge – die erste großtechnische Power-to-Gas-Anlage in Deutschland – kann 2023 einsatzbereit sein. Ein Elektrolyseur mit einer Leistung von 100 Megawatt soll grünen Strom in grünen Wasserstoff umwandeln, der anschließend durch eine eigene Leitung direkt zu den Anwendern transportiert wird. Warum ist das für die Energiewende so wichtig?
Das Energiesystem wird flexibel
Die Energieproduktion in Deutschland wird immer grüner und damit klimaschonender. Bis 2030 – so das Ziel der Bundesregierung – soll der Anteil der erneuerbaren Energien am deutschen Strombedarf auf 65 Prozent anwachsen. Damit wird die Stromerzeugung immer wetterabhängiger und volatiler. Die Folge: Grüner Strom steht nicht zwingend dann bereit, wenn er gebraucht wird. So lieferten beispielsweise Wind und Sonne am 11. Januar 2018 gerade einmal ein Prozent des deutschlandweit benötigten Stroms. Wenn das Wetter jedoch günstig ist, stellt sich eine andere Frage: Am 1. Mai 2018 ließ sich der Strombedarf während einer einzigen Stunde vollständig aus erneuerbaren Energien decken. Situationen wie diese wird es künftig häufiger geben. Denn im Jahr 2030 werden Windenergie- und Photovoltaikanlagen deutschlandweit bis zu 133 Gigawatt Leistung bereitstellen. Die Last liegt aber vermutlich „nur“ bei maximal 92 Gigawatt, oft auch erheblich darunter. Wie lassen sich künftig die großen Mengen an Wind- und Solarstrom nutzen, wenn sie zeitweise keine direkten Abnehmer finden? Einspringen könnten Power-to-Gas-Anlagen, die grünen Strom in Wasserstoff umwandeln und ihn für andere Sektoren nutzbar machen.
Klimaschutz in andere Sektoren bringen
Die Europäische Union verfolgt ein ehrgeiziges Klimaziel: Bis 2030 sollen die Mitgliedsstaaten ihre Treibhausgasemissionen um 40 Prozent gegenüber dem Stand von 1990 reduzieren. Wie lässt sich dieses Ziel umsetzen? Erreichen lassen sich diese Vorgaben nur dann, wenn sämtliche Wertschöpfungsketten der Volkswirtschaft – von der Rohstoffgewinnung über die industrielle Produktion bis zur Mobilität – einbezogen werden. Dabei wird Wasserstoff als vielseitiger Rohstoff in der chemischen Industrie und im Mobilitätssektor eine wichtige Rolle spielen. Mithilfe der Elektrolyse kann er aus Wasser gewonnen werden. Wenn für dieses Verfahren grüner Strom genutzt wird, verläuft dieser Prozess klimaneutral. So tragen Power-to-Gas-Anlagen dazu bei, den CO2-Fußabdruck der gesamten Volkswirtschaft zu verringern. Damit diese Technologie großtechnisch für die zweite Stufe der Energiewende bereitsteht, müssen jetzt genügend leistungsfähige Anlagen entwickelt und erprobt werden. Dazu soll das Pilotprojekt hybridge entscheidend beitragen. Ab 2023 wollen Amprion und OGE den Betrieb unter realen Bedingungen als Teil der Netzinfrastruktur testen. Dies ist ein wichtiger Schritt für die Energiewende sowie für den europäischen und weltweiten Klimaschutz.
Gas- und Stromsystem wachsen zusammen
Strom aus erneuerbaren Energiequellen kann prinzipiell über das Übertragungsnetz transportiert werden. Aus den sonnigen und windreichen Regionen müssen ihn die Netzbetreiber jedoch oft über lange Strecken zum Verbraucher leiten: durchschnittlich 240 Kilometer weit. Da das deutsche Übertragungsnetz für diese Anforderungen ursprünglich nicht ausgelegt war, muss es an zahlreichen Stellen verstärkt und ausgebaut werden. Allein Amprion realisiert bis 2030 Vorhaben mit einer Gesamtlänge von rund 2.000 Kilometern. Wie muss sich das Übertragungsnetz weiterentwickeln, wenn der Anteil der erneuerbaren Energien auf über 65 Prozent steigen soll? Der Schlüssel liegt in der optimal aufeinander abgestimmten Nutzung vorhandener Transportwege für Strom und Gas. Auf diese Weise kann die Speicherfähigkeit der Gasinfrastruktur genutzt werden und dabei helfen, Erzeugung und Verbrauch zeitlich zu entkoppeln. Dabei wandelt der „Sektorentransformator“ hybridge die Energieform Strom in den speicherbaren Energieträger Wasserstoff um und kann so anderen Sektoren bei der CO2-Vermeidung helfen. Möglich wird das durch intelligent gesteuerte Power-to-Gas-Anlagen in der richtigen Größenklasse, die das Übertragungsnetz an sinnvollen Stellen ergänzen. Durch die gezielte Umstellung heutiger Erdgasleitungen kann so eine Wasserstoffinfrastruktur entstehen.
Weitere ausführliche Informationen zum Power-to-Gas-Projekt finden Sie auf der hybridge Webseite.
Text: Alexandra Brandt
Drei Fragen an Dr. Klaus Kleinekorte (Amprion)
und Dr. Thomas Hüwener (Open Grid Europe)
Warum treiben Ihre beiden Unternehmen das Projekt hybridge voran?
Dr. Klaus Kleinekorte: Zum einen natürlich, weil wir von der Power-to-Gas-Technologie und ihrer Bedeutung für das Gelingen der Energiewende überzeugt sind. Und weil wir sie brauchen, um die Volatilität der erneuerbaren Energien systemkompatibel zu machen. Schon bald wird aus erneuerbaren Quellen zeitweise mehr Strom erzeugt, als direkt elektrisch genutzt werden kann. Wir wollen aber jede erneuerbar erzeugte Kilowattstunde volkswirtschaftlich sinnvoll nutzen.
Dr. Thomas Hüwener: Und dafür können Power-to-Gas-Anlagen sorgen, wenn sie die richtige Leistungsstärke haben, am richtigen Ort stehen und intelligent eingesetzt werden. Amprion und OGE sind bereits heute dafür verantwortlich, die Energieflüsse über ihre Leitungen zu steuern und so ein stabiles Strombeziehungsweise Gassystem zu betreiben. Power-to-Gas-Anlagen als Verbindungselemente zwischen der Strom- und Gaswelt sind also die logisch konsequente Weiterentwicklung unserer heutigen Infrastrukturen.
Wie weit ist hybridge?
T. H.: Wir haben die Technik, wir haben einen geeigneten Standort und wir kennen vielfältige Anwendungen für den Wasserstoff. Die Investitionsanträge sind bei der Bundesnetzagentur gestellt. Sobald wir also die Genehmigung für die Anlage erhalten, können wir mit dem Bau starten. Wenn die Weichen jetzt gestellt werden, kann die Anlage bereits 2023 in Betrieb gehen.
Sie wollen die geplante Anlage im Raum Lingen errichten. Warum dort?
K. K.: Im südlichen Emsland kreuzen sich Höchstspannungsleitungen von Amprion und eine geeignete Gastransportleitung von OGE, die auf den Wasserstoffbetrieb umgestellt werden kann. Zudem lassen sich dort alle Verwendungsmöglichkeiten des umgewandelten Wasserstoffs erproben.
T.H.: Wir können eine Gasleitung mit einer Länge von 50 Kilometern für den ausschließlichen Transport von Wasserstoff umwidmen und darüber Wasserstoffanwendungen in der Region versorgen. Außerdem wollen wir die Beimischung geringer Mengen an Wasserstoff in das klassische Erdgasnetz erproben und mit der Methanisierung Erfahrungen sammeln. Perspektivisch lassen sich vorhandene Gasspeicher nutzen und die Wasserstoffleitung bis ins Ruhrgebiet verlängern, um noch mehr Anwendungen zu erschließen.
Text: Meike Pedack Illustration: Xenia Fink