Sicherer Strom
Amprion-Geschäftsführer Dr. Hans-Jürgen Brick und der Wirtschaftsforscher Prof. Dr. Christoph M. Schmidt über das hohe Gut Versorgungssicherheit – und warum sich unser Energiesystem weiterentwickeln muss.
STROM IST FÜR VIELE MENSCHEN SELBSTVERSTÄNDLICH. FÜR SIE AUCH?
SCHMIDT Ja, es ist für mich selbstverständlich, dass immer Strom verfügbar ist. Eine sichere Energieversorgung ist Voraussetzung für unsere Lebensweise und – das sage ich als Ökonom – auch dafür, unseren Wohlstand zu erhalten.Denn sie gewährleistet unsere Art zu wirtschaften, zu produzieren.
BRICK Hier sehen wir auch unsere Verantwortung: Wir haben den gesetzlichen Auftrag, rund um die Uhr für ein sicheres Übertragungsnetz zu sorgen. Dabei stellen wir fest, dass dieser Auftrag zunehmend herausfordernd wird. Wenn die Stabilität gefährdet ist, schalten wir Reservekraftwerke dazu oder schränken beispielsweise Stromeinspeisungen und -abnahmen ein. Je öfter wir das tun müssen, desto teurer wird das für unsere Volkswirtschaft.
SCHMIDT Die Versorgungssicherheit dürfen wir auch in Zeiten der Energiewende nicht vernachlässigen. Bis 2050 wollen wir in Deutschland ein System haben, das stark auf erneuerbare Energien setzt, zugleich effizient und technisch stabil arbeitet. Das ist gesellschaftlicher Konsens. Alle drei Ziele passen im Endzustand auch wunderbar zusammen. Aber den Weg dahin zu gestalten, ist eine sehr anspruchsvolle Aufgabe.
WO LIEGEN DIE HERAUSFORDERUNGEN?
SCHMIDT Wenn uns die Versorgungssicherheit so wichtig ist, müssten wir parallel zu den erneuerbaren Energien auch Stromnetze und Speicher ausbauen. Das müsste synchron geschehen, tut es aber derzeit nicht.
BRICK In der Tat hinkt der Netzausbau dem Ausbau der erneuerbaren Energien hinterher. Und die Speichertechnologie ist noch nicht hinreichend entwickelt. Deshalb brauchen wir nach wie vor Brückentechnologien, etwa hocheffiziente Gaskraftwerke, aber auch innovative Elemente im Stromnetz. Weil konventionelle Kraftwerke immer weniger Energie einspeisen, hat Amprion zum Beispiel Anlagen entwickelt, die die Netzspannung auf anderem Wege stabil halten.
SCHMIDT Rückblickend würde ich sagen: Wir haben in Deutschland Fehler gemacht. Die Öffentlichkeit hatte lange den Eindruck, dass die Energiewende allein im Ausbau der Erneuerbaren bestünde. Das hat das ganze Vorhaben an den Rand der Machbarkeit geführt.
BRICK Nach einer Zeit der politischen Diskussionen haben wir aber nun wieder Planungssicherheit. Dass zur Energiewende auch der Netzausbau gehört, ist vielen Menschen zwar grundsätzlich klar – solange sie nicht selbst betroffen sind. Deshalb ist wichtig, dass der Netzausbau bürgerfreundlich erfolgt und wir die Bezahlbarkeit aller Maßnahmen im Auge behalten. Diese ökonomische Nachhaltigkeit brauchen wir, damit der Wirtschaftsstandort Deutschland wettbewerbsfähig bleibt.
SCHMIDT Ganz klar: Deutschland muss wirtschaftlich leistungsfähig bleiben. Wir wollen für eine älter werdende Gesellschaft eine gute Gesundheitsversorgung erhalten. Wir wollen ein offenes Land bleiben, das Flüchtlingen Zuflucht bietet. Als Ökonom frage ich mich: Kann man die Ziele der Energiewende nicht volkswirtschaftlich effizienter erreichen? Das Erneuerbare-Energien-Gesetz, kurz EEG, war nicht der ideale Weg, weil es über Einspeisevergütungen bestimmte Technologien einseitig gefördert hat und volkswirtschaftlich viel zu teuer war.
WAS WÜNSCHEN SIE SICH?
SCHMIDT Künftig sollten Subventionen technologieneutral eingesetzt werden – und so, dass sie die Erneuerbaren in einen Technologie- und Standortwettbewerb bringen. Die Förderung sollte Investoren nicht nur Rendite versprechen, sondern auch fragen: Wie passen ihre Anlagen ins System? Sind ihre Standorte für das System optimal? Dafür könnte man beispielsweise regionale Strom-Preiszonen einführen oder einen entfernungsabhängigen Preis für den Stromtransport. Eine andere Möglichkeit wäre, Erzeuger am Netzausbau zu beteiligen, wenn sie Anlagen weit weg von Regionen mit starker Nachfrage bauen.
BRICK Einen einheitlichen deutschen Strommarkt aufrechtzuerhalten, ist für viele der großen Unternehmen im Amprion-Netzgebiet wichtig. Und entfernungsabhängige Aufschläge sind nur im europäischen Kontext möglich. Sonst würden sie den Wettbewerb verzerren. Wir brauchen einen unter den Mitgliedsstaaten harmonisierten Gesamtansatz für Europa. Durch die Pariser Klimabeschlüsse im Dezember 2015 gibt es eine stärkere Zielharmonisierung, dass Deutschland und Frankreich etwa die erneuerbaren Energien gemeinsam fördern wollen.
SCHMIDT Aber diese Schritte sind noch zu langsam! Europa könnte einen wichtigen Beitrag leisten, den Klimawandel zu begrenzen. Ein gemeinsames europäisches Vorgehen könnte sehr einfach auf dem Emissionshandel aufbauen. Den gibt es schon. Er hat zwar seine Kinderkrankheiten, aber man kann ihn weiterentwickeln. Ich favorisiere ein Modell, das für CO2-Emissionen einen Mindestpreis festlegt. Das ist zwar nicht Marktwirtschaft pur, aber letztlich marktnäher als alles, was wir bisher haben.
BRICK Wir begrüßen alle Schritte, die das Gesamtsystem effizienter machen und seine Stabilität stärken. Gegenwärtig läuft es noch nicht rund. Weil das Übertragungsnetz allmählich an seine Belastungsgrenze kommt, greifen die Netzbetreiber immer häufiger in die Fahrweise von Kraftwerken ein. Die Kosten für diese Redispatch-Maßnahmen erreichten 2015 einen neuen Höchststand in Deutschland. Die Erwartungen an ein neues Marktdesign sind also vielfältig und werden gegenwärtig auf nationaler wie europäischer Ebene diskutiert. In jedem Fall sollten Förderung und Erzeugung erneuerbarer Energien stärker mit dem Markt verzahnt werden. Dann würde das System insgesamt besser harmonieren.
HARMONIEREN DENN DIE NETZBETREIBER IN EUROPA?
BRICK Glücklicherweise sind wir europäischen Netzbetreiber da schon auf einem sehr guten Stand. Es gab wohl noch nie eine so enge Zusammenarbeit zwischen ihnen – egal, aus welchem Staat und aus welchem Energiesystem sie kommen. Wir kooperieren bilateral und regional, weil wir die Systemsicherheit als gemeinsame Aufgabe verstehen. Wir alle wissen, wie empfindlich unser Energiesystem ist.