Immer im Gleichgewicht – das leistet die Systemführung

Netzbetrieb
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Das Bild zeigt das große Rückmeldebild in der Hauptschaltleitung. Davor zwei Menschen, die dieses betrachten.
Über das Wetter zu reden, hat für Dr. Frank Reyer einen ernsten Hintergrund. Denn Wind und Sonne haben erheblichen Einfluss auf seine Arbeit. „Ein großer Teil des Stroms stammt heute aus erneuerbaren Energien, die vom Wetter abhängig sind“, sagt der Leiter Systemführung von Amprion.

Nur wenn Windräder und Photovoltaikanlagen zusammen mit Kraftwerken und Speichern in jeder Sekunde so viel Energie einspeisen, wie auch verbraucht wird, bleibt das Stromnetz im Gleichgewicht. Nur dann liegt die Frequenz beim Sollwert von 50 Hertz. Zu große Abweichungen gefährden die Anlagen im Stromnetz und damit die stabile Versorgung der Bevölkerung mit elektrischer Energie. Das Gleichgewicht zwischen Erzeugung und Verbrauch zu halten, ist daher eine wichtige Aufgabe der Systemführung von Amprion in Brauweiler bei Köln.

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Systemführung

Die Vorgänge im Netz bestmöglich planen und dann am Tag selbst kurzfristig nachsteuern – so lässt sich die Arbeit in der Systemführung vereinfacht beschreiben. Daran sind verschiedene Teams beteiligt – vom Front Office und der Betriebsplanung bis zur Hauptschaltleitung und den Gruppenschaltleitungen. Sie alle tragen dazu bei, dass das Übertragungsnetz stabil arbeitet.

Mehr zur Systemführung
Das Symbol stellt einen Monitor oder einen Bildschirm dar, auf dem ein Diagramm oder ein Graph angezeigt wird.

Die Komplexität nimmt zu

Das „System“ ist das 11.000 Kilometer lange Höchstspannungsnetz von Amprion in einem Gebiet zwischen der Nordsee und den Alpen. Das Netz im Gleichgewicht zu halten, wird dabei immer anspruchsvoller. „Früher haben konventionelle Kraftwerke genauso viel Strom produziert, wie benötigt wurde“, sagt Frank Reyer. Mit der Einspeisung aus erneuerbaren Energien wird die Erzeugung volatiler. Die Komplexität im Netz nehme zu.

Ein Mann, Ralf Lonsdorfer, lehnt in Geschäftskleidung an einer Backsteinwand. Er trägt eine Brille mit auffälligem schwarzem Rahmen und blickt entspannt in die Kamera.

Wir koordinieren die Fahrpläne der Marktteilnehmer und anderer Übertragungsnetzbetreiber. Am Ende steht ein abgestimmtes Regelprogramm für Deutschland und Nordeuropa.

Ralf Lonsdorfer

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Leiter des Front Office

Hinzu kommt: Der Strom muss über größere Entfernungen als früher transportiert werden, insbesondere von Windparks im Norden in die Verbrauchszentren im Westen und Süden Deutschlands. Außerdem wird immer mehr Strom an den europäischen Börsen gehandelt und anschließend über die Netze der deutschen Übertragungsnetzbetreiber übertragen. Das alles gilt es in der Systemführung zu berücksichtigen. Dafür sind Vorarbeiten nötig.

Herausforderung: Schwankende Einspeisung aus Erneuerbaren

~58 GW
Einspeisung aus Sonne und Wind

3.Oktober 2024, zwischen 11 und 12 Uhr

~2 GW
Einspeisung aus Sonne und Wind

26.Oktober 2024, zwischen 1 und 2 Uhr

Planungen für den Folgetag

So versucht das Team des Front Office, anhand von Wetterprognosen möglichst genau zu ermitteln, wie viel Strom aus erneuerbaren Energien am Folgetag ins Netz eingespeist wird. Zudem nimmt es neben den Kraftwerksplanungen auch das Börsengeschehen des Folgetags in den Blick: Die Expert*innen koordinieren die Fahrpläne der Marktteilnehmer und anderer Übertragungsnetzbetreiber. „Am Ende steht ein abgestimmtes Regelprogramm für Deutschland und Nordeuropa“, sagt Ralf Lonsdorfer, Leiter Front Office. Das Team der Betriebsplanung analysiert daraufhin, was das alles für das Stromnetz bedeutet. „Wir nehmen die Kapazitäten der Leitungen in den Blick. Sonst droht ein Stau auf den Stromautobahnen“, sagt Oliver Weis, Leiter Betriebsplanung. Neben der Kapazitätsberechnung, welche als Input für den internationalen Börsenhandel dient, prüft sein Team, welche Kraftwerke am Folgetag ihre geplante Stromproduktion verändern müssten, um Leitungsabschnitte vor einer Überlastung zu schützen.

Wetter

Ermittlung der Einspeisung aus erneuerbarer Energie

Börse

Koordinierung der Fahrpläne der Marktteilnehmer

Leitungen

Überwachung der Kapazitäten

Kraftwerke

Prüfung möglicher Anpassungen der Stromproduktion

Nachsteuern in Echtzeit

Durch die Vorarbeiten von Front Office und Betriebsplanung lassen sich die Vorgänge im Netz relativ gut vorhersehen und bereits im Vorhinein Maßnahmen einplanen. „Wenn am Tag selbst das Wetter Kapriolen schlägt und Windparks oder Photovoltaikanlagen unerwartet viel oder wenig Strom liefern, muss nachgesteuert werden“, so Peter Gilsdorf, Leiter Hauptschaltleitung Brauweiler. Das Nachsteuern gehört zu den zentralen Aufgaben der Hauptschaltleitung in Brauweiler. Sie ist die größte und modernste Leitwarte Europas.

Ein Mann, Peter Gilsdorf lehnt an einer Backsteinwand. Er trägt Hemd, Sakko und Jeans, seine linke Hand liegt entsprannt auf seinem linken Oberschenkel.

Wenn am Tag selbst das Wetter Kapriolen schlägt und Windparks oder Photovoltaikanlagen unerwartet viel oder wenig Strom liefern, muss nachgesteuert werden.

Peter Gilsdorf

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Leiter Hauptschaltleitung Brauweiler

Dort laufen alle Fäden zusammen, um das Stromnetz in Echtzeit stabil zu halten. Ein Team von Ingenieur*innen arbeitet im Schichtbetrieb rund um die Uhr. Eine 108 Quadratmeter große Anzeigewand voller digitaler Diagramme, Tabellen und Graphen zeigt, wie sich Frequenz, Spannung und Stromflüsse im Netz entwickeln. Damit ist sie ein wichtiges Werkzeug, um die überregionalen Zusammenhänge schnell erfassen zu können.

Die Ingenieur*innen nehmen dabei das Amprion-Netz sowie den zentralen Teil des kontinentaleuropäischen Stromnetzes in den Blick – von Nordfrankreich bis Tschechien und von Dänemark bis Norditalien.

Eingriffe in den Netzbetrieb

Nachsteuern in Echtzeit – das bedeute, bei Bedarf in den Netzbetrieb einzugreifen, sagt Dr. Christoph Schneiders, Leiter Netzführung und Systemsteuerung. Beispiel Netzfrequenz: Um sie konstant zu halten, kommt unter anderem sogenannte Regelreserve zum Einsatz: Kraftwerke speisen teils automatisch, teils auf Anforderung kurzfristig mehr oder weniger Strom ins Netz ein, um das Gleichgewicht zwischen Erzeugung und Verbrauch wiederherzustellen.

Beispiel Stromflüsse: Droht an einer bestimmten Stelle im Netz durch Überlastung ein Engpass, werden Erzeugungsanlagen diesseits des Engpasses angewiesen, ihre Einspeisung zu drosseln, während Anlagen jenseits des Engpasses ihre Einspeiseleistung erhöhen müssen. Expert*innen sprechen in einem solchen Fall von Redispatch. Betreiber von Erzeugungsanlagen werden für diese Eingriffe in ihre Fahrpläne entschädigt.

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Redispatch

Beim Auftreten von Engpässen werden bestimmte Leitungen im Netz entlastet durch die Verlagerung von Kraftwerkseinspeisungen. Dieses Verfahren nennt man Redispatch-Management. Es wird präventiv genutzt in der Vorausplanung, um zum Beispiel Netzüberlastungen für die nächsten Stunden im Vorfeld zu verhindern. Kuratives Redispatch wird im laufenden Netzbetrieb eingesetzt, um vorhandene oder unmittelbar bevorstehende Überlastungen zu beheben.

Das Symbol, das Sie beschreiben, stellt eine Kombination verschiedener erneuerbarer Energiequellen dar. Es zeigt eine Windturbine, eine Solaranlage und eine Silhouette einer Stadt oder eines Industriegebiets.

Systemführung ist Teamwork

Die Ingenieur*innen in der Hauptschaltleitung konzentrieren sich darauf, die für die Netzstabilität nötigen Schritte einzuleiten. Ausgeführt werden die Maßnahmen durch ihre Kolleg*innen in den Gruppenschaltleitungen. Sie nehmen unter anderem Leitungen in oder außer Betrieb. Außerdem koordinieren sie die Schaltungen mit den Verteilnetzbetreibern, die für den regionalen Stromtransport verantwortlich sind, und mit Industrieunternehmen, die direkt an das Amprion-Netz angeschlossen sind. So greift in der Systemführung ein Rad ins andere.

Um die täglich wechselnden Herausforderungen für die Netzstabilität zu meistern, braucht es nicht nur die Expertise der Systemführung. „Auch das Stromnetz selbst muss sich verändern und wachsen“, sagt Frank Reyer. „Der Netzausbau muss Schritt halten mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien.“ Jeder Kilometer Netz mehr helfe dabei, Übertragungskapazitäten zu erhöhen und Engpässe zu vermeiden.