Amprion hält den Kohleausstieg 2030 für technisch möglich. In einem Zehn-Punkte-Plan beschreibt der Übertragungsnetzbetreiber, welche Maßnahmen dafür schnellstmöglich umzusetzen sind.
Der Kampf gegen den Klimawandel und seine Folgen erhöht den Druck, das Energiesystem umzubauen und gleichzeitig die Grundlagen der Industriegesellschaft zu erhalten. Die neue Bundesregierung will deshalb das Ende der Kohleverstromung beschleunigen und möglichst auf 2030 vorziehen. „Der Ausstieg kann gelingen – verbunden mit konkreten Anforderungen“, sagt Amprion-CTO Dr. Hendrik Neumann. „Wir sehen keine unüberwindbaren Hindernisse.“ Amprion hat geprüft, wie ein Kohleausstieg bis 2030 technisch funktionieren kann. In einem Zehn-Punkte-Plan benennt der Übertragungsnetzbetreiber technische Maßnahmen, die die neue Bundesregierung schnellstmöglich umsetzen sollte.
Die Amprion-Analysen machen deutlich, dass das Tempo des Netzausbaus nicht ausreicht und auch das aktuelle Markt- und Regulierungsdesign reformiert werden muss, um bei einem beschleunigten Kohleausstieg bis 2030 das heutige Niveau an Systemstabilität zu garantieren. „Die Netzstabilität ist uns aufgrund unserer besonderen Verantwortung für die Industriegesellschaft besonders wichtig“, sagt Amprion-CEO Dr. Hans-Jürgen Brick. Ein Drittel der deutschen Wirtschaftsleistung wird im Netzgebiet von Amprion erzeugt. Es sei zu kurz gesprungen, nur über die Frage nachzudenken, ob im Jahr 2030 ausreichend gesicherte Erzeugung vorhanden sei, so Brick. „Für den Kohleausstieg müssen wir alle Elemente betrachten, die für einen sicheren Systembetrieb notwendig sind.“
Kurzuntersuchung: Auswirkungen eines Kohleausstiegs 2030
Die neue Bundesregierung will laut Koalitionsvertrag bis Mitte 2023 eine „Roadmap Systemstabilität“ festlegen. Sie soll den sicheren Weg für den Umbau der Energielandschaft beschreiben. Amprion begrüßt dies und konkretisiert die Roadmap durch den Zehn-Punkte-Plan. Er sieht Maßnahmen zu grundlegenden netz- und markttechnischen Fragen vor:
Beschleunigter Netzausbau und Höherauslastung des Netzes
Bei einem Kohleausstieg bis zum Jahr 2030 und einem sehr ambitionierten Ausbau von erneuerbaren Energien würde es ohne Roadmap-Maßnahmen deutlich mehr Netzengpässe geben. Um sie zu beheben, wären vermehrt Eingriffe in die Einsatzfahrpläne von Kraftwerken nötig. Dieser „Redispatch“ würde erhebliche Zusatzkosten für Stromkunden verursachen. „Daher muss der Netzausbau schneller vorangehen“, fordert Neumann. „Genehmigungsprozesse dürfen nicht länger als drei Jahre dauern. Es gilt zudem, neue Netzführungskonzepte umzusetzen, bei denen wir die vorhandene Infrastruktur flexibler und effizienter nutzen.“ Dafür seien die gesetzlichen Grundlagen zu schaffen.
Neues Marktdesign: Einführung des Systemmarkts
„Es reicht nicht, Anreize für mehr gesicherte Erzeugungsleistung zu schaffen“, stellt Brick klar. „Künftig kommt es immer stärker darauf an, wo Erzeugungsanlagen stehen.“ Deshalb hat Amprion ein Marktdesign entwickelt, das über einen reinen Kapazitätsmarkt hinausgeht: „Wir müssen Allokationssignale für neue Kraftwerke, Speicher und Elektrolyseure etablieren, damit diese mit ihren sogenannten Systemdienstleistungen zur Stabilität des Netzes beitragen.“ Dazu gehören auch technische Fähigkeiten wie die „Schwarzstartfähigkeit“: das Anfahren einer Erzeugungsanlage unabhängig von der Stromversorgung, um das Netz nach einer Störung wiederaufzubauen. „Durch den Systemmarkt werden Anreize für Anlagen gesetzt, die die richtigen Leistungen an den richtigen Stellen im Netz erbringen.“
Bereitstellung Momentanreserve
Schnelle Frequenzänderungen im Netz, die entstehen, wenn Stromerzeugung und -verbrauch unerwartet voneinander abweichen, werden kurzfristig durch die „Momentanreserve“ abgepuffert: Generatoren bringen durch ihre rotierenden Massen Trägheit ins System. Sie stabilisieren die Netzfrequenz, bis weitere Schutzmaßnahmen greifen. Ohne Roadmap-Maßnahmen würden bei einem Kohleausstieg 2030 kritische Frequenzabweichungen an durchschnittlich jedem vierten Tag auftreten. „Wir brauchen einen Markt für Momentanreserve – idealerweise in Form des Systemmarkts“, so Neumann. Darüber hinaus plädiert er dafür, die technischen Anschlussregeln von Windkraft- und Photovoltaikanlagen strikter einzuhalten und weiterzuentwickeln, damit diese Anlagen künftig verlässlich für Frequenzhaltung oder weitere Systemdienstleistungen zur Verfügung stehen. Das betreffe auch Großverbraucher und Ladeinfrastruktur von Elektrofahrzeugen.
Die Analysen und den Zehn-Punkte-Plan zum Kohleausstieg bis 2030 finden Sie hier. Er gibt eine erste Einschätzung zu einem möglichen vorgezogenen Kohleausstieg wieder. Für eine umfassende Bewertung sind weitere Markt- und Netzanalysen notwendig. „Politik und Energiebranche sind aufgefordert, die im Zehn-Punkte-Plan genannten Arbeitsfelder zügig gemeinsam anzugehen“, sagt Amprion-CEO Brick. „Mit unserer Erfahrung und Systemplanungskompetenz stehen wir bereit, diesen Prozess eng zu begleiten.“