Entkopplung des europäischen Übertragungsnetzes

Netzbetrieb
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Das Foto im Querformat stammt aus der Systemführung und  zeigt eines der wichtigsten Arbeitsmittel der Systemführung/Netzführung: das 18 Meter breite und sechs Meter hohe Rückmeldebild.
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Nach einer Entkopplung des europäischen Stromnetzes am 8. Januar 2021 haben die Prozesse und Koordinationsmaßnahmen der europäischen Übertragungsnetzbetreiber wie geplant gegriffen – ein Überblick.

Der Verband der europäischen Übertragungsnetzbetreiber (Entso-E) untersucht den Vorfall und hat dazu am 15. Januar 2021  eine Mitteilung veröffentlicht. Dies ist der derzeitige Stand der Untersuchung:

Am 8. Januar 2021 kam es im europäischen Übertragungsnetz aufgrund von Ausfällen mehrerer Netzbetriebsmittel innerhalb kurzer Zeit zu einer Entkopplung von Teilnetzgebieten, die etwa eine Stunde dauerte. Das Netzgebiet war von 14:05 Uhr bis 15:08 Uhr (mitteleuropäischer Zeit) in zwei Teile getrennt. Um 15:08 Uhr konnten beide Teilnetze wieder zusammengeführt werden.

Nach der Entkopplung um 14:05 Uhr sank die Frequenz für rund 15 Sekunden im nordwestlichen Teil des Netzes auf 49,74 Hertz. Durch koordinierte Gegenmaßnahmen wurde der Frequenzabfall gestoppt und zunächst auf dem Niveau von 49,84 Hertz stabilisiert. Gleichzeitig stieg die Frequenz im südöstlichen Teil des Netzes auf zunächst 50,6 Hertz und stabilisierte sich dann wieder auf einer Frequenz zwischen 50,2 und 50,3 Hertz.

Vertraglich gesicherte Kapazitäten gingen vom Netz.

Aufgrund der Unterfrequenz gingen im nordwestlichen Teilnetz vertraglich gesicherte Kapazitäten (Industrieanlagen) mit einer Leistung von 1,7 GW in Frankreich und Italien vom Netz. Die Betreiber dieser Anlagen hatten im Vorfeld mit den zuständigen Übertragungsnetzbetreibern Verträge darüber abgeschlossen, dass ihre Anlagen bei einer bestimmten Unterfrequenz automatisch abschalten, um das Netz zu stützen. Zusätzlich wurden 420 MW unterstützende Leistung aus dem skandinavischen (Nordic) und 60 MW aus dem britischen Synchrongebiet automatisiert eingespeist. Diese Maßnahmen sorgten dafür, dass die Frequenz um 14:09 Uhr nur noch rund 0,1 Hertz unter der normalen Frequenz von 50 Hertz lag und sukzessive weiter zurückgeführt wurde. Im Gegensatz dazu reduzierten aufgrund der erhöhten Frequenz im südöstlichen Teilnetz hier Erzeugungsanlagen ihre Einspeisung. Um 14:31 Uhr lag in diesem Teilnetz die Frequenz nur noch um 0,1 Hertz über dem Sollwert von 50 Hertz.

Die automatisierten Reaktionen und koordinierten Maßnahmen der kontinentaleuropäischen Übertragungsnetzbetreiber sorgten dafür, dass der Normalbetrieb im Netz bald wiederhergestellt werden konnte. Amprion übernahm im Rahmen der Frequenzüberwachung als verantwortlicher Synchronous Area Monitor für Kontinentaleuropa die Koordination beim gemeinsamen Vorgehen der europäischen Übertragungsnetzbetreiber. Um 14:47 Uhr und 14:48 Uhr konnten die Industrieanlagen in Italien und Frankreich wieder ans Netz gehen. Um 15:08 Uhr synchronisierten die Netzbetreiber die beiden Teilnetze wieder.

Fragen und Antworten

Was ist die „Frequenz“?

Der Begriff Frequenz bezeichnet in der Physik die Anzahl von Schwingungen pro Sekunde. So vibriert etwa eine Klavierseite beim Anschlag des Kammertons a 443 Mal pro Sekunde. Gemessen wird die Frequenz im Stromnetz in Hertz, nach dem Entdecker der elektromagnetischen Wellen Heinrich Hertz. In Europa beträgt die Nennfrequenz des öffentlichen Wechselstromnetzes 50 Hertz.

Warum muss die Frequenz stabil bei 50 Hertz liegen? Unter welchen Bedingungen tut sie das?

Der Kraftwerkspark und die Stromnetze in Europa sind so konzipiert, dass die tatsächliche Frequenz nie um mehr als 0,2 Hertz von der Nennfrequenz 50 Hertz abweichen darf. Das gilt auch, wenn die Netze stark ausgelastet sind – weil etwa viel Windenergie eingespeist wird, an heißen Tagen unzählige Klimaanlagen anspringen oder die Industrieproduktion auch an einem kalten Wintertag auf Hochtouren läuft. Um diese Frequenz zu halten, müssen Stromeinspeisung und -verbrauch stets im Gleichgewicht sein – und zwar bei jedem Wetter und in jeder Sekunde des Tages.

Welche Maßnahmen stabilisieren die Frequenz?

Um Schwankungen auszugleichen und die Netzfrequenz immer möglichst nah am Sollwert von 50 Hertz zu halten, verfügen die Systemführungen der Netzbetreiber über einen gut gefüllten Instrumentenkasten. Schon bei einer Abweichung von 0,01 Hertz greifen Maßnahmen wie Primärregelreserve und in der Abfolge Sekundärregelreserve sowie die Minutenreserve – verschiedene Arten der sogenannten Regelreserve, mit deren Hilfe sich die Netzfrequenz schnell und gezielt regeln lässt. Dahinter verbergen sich ständig einsatzbereite Kraftwerke, die wahlweise binnen 30 Sekunden, fünf oder 15 Minuten ihre Einspeisung erhöhen oder senken können.

Darüber hinaus können die Netzbetreiber große Stromverbraucher für eine gewisse Zeit vom Netz nehmen – man spricht hier von „abschaltbaren Lasten“. Es handelt sich dabei um energieintensive Betriebe, die sich freiwillig dazu bereiterklärt haben und einen finanziellen Ausgleich erhalten, wenn sie abgeschaltet werden.

Was ist das europäische Verbundnetz?

Das zentraleuropäische synchronisierte Übertragungsnetzgebiet ist eines der größten Netzgebiete der Welt. Es basiert auf dem Zusammenschluss von Übertragungsnetzen.Es dient insbesondere dem überregionalen Austausch größerer Energiemengen und verbessert die Wirtschaftlichkeit und Zuverlässigkeit der Versorgung der zusammengeschalteten Netze. Der Verband der europäischen Übertragungsnetzbetreiber (ENTSO-E) repräsentiert 42 Übertragungsnetzbetreiber aus 34 Ländern. Sie umfassen fünf über Gleichstrom miteinander verbundene Synchrongebiete. Das größte ist das kontinentaleuropäische Verbundnetz –- es erstreckt sich von Dänemark bis Griechenland und die Türkei sowie von Portugal bis Polen. Die Mitglieder definieren Regeln für den Netzbetrieb und den Strommarkt, legen Sicherheitsstandards fest und entwickeln regelmäßig Pläne zur Netzentwicklung.

Wie wird die Netzfrequenz überwacht? Wer übernimmt diese Aufgabe?

Die Frequenzhaltung ist ein gemeinsames kontinentaleuropäisches Thema. Amprion nimmt bei dieser Aufgabe eine besondere Verantwortung wahr. Gemeinsam mit dem schweizerischen Übertragungsnetzbetreiber Swissgrid hat das Unternehmen die Rolle des „Frequenz-Koordinators“ übernommen. Im Rahmen dieser Aufgabe überwacht Amprion die Netzfrequenz für Kontinentaleuropa und nimmt im Fall größerer Frequenzabweichungen Kontakt zu den europäischen Partnern auf, leitet Notfallprozeduren ein und koordiniert die Umsetzung.

Wie kann es zu einer Systementkopplung kommen?

Wenn aufgrund außergewöhnlicher Umstände mehrere Betriebsmittel – beispielsweise Teile von Umspannanlagen oder Leitungen im Netz – überlastet sind, kann das dazu führen, dass sich Synchrongebiete in separate Teile aufteilen. Überlastete Betriebsmittel schalten sich automatisch ab, um Schäden zu vermeiden. Der Strom, der über diese Betriebsmittel übertragen wurde, sucht sich dann einen neuen Weg durch das Netz. Wenn dies zu weiteren Überlastungen bei den Betriebsmitteln führt, kann in seltenen Fällen ein Dominoeffekt eintreten. Dann ist ein Teil des Netzes vollständig vom Rest getrennt.

Welche Teilnetze haben sich am 8. Januar 2021 gebildet?

Nach den Vorkommnissen des 8. Januar hat sich das Netz in zwei voneinander getrennte Teilnetze aufgeteilt. Eins davon lag im Südosten Europas, das andere umfasste die restlichen Netze nordwestlich dieses Teilnetzes. Die beiden Teile liefen nicht mehr miteinander synchron.

Wie wird das Vorgehen bei einer solchen Netzentkopplung koordiniert?

Im Falle einer großen Frequenzabweichung informieren die Frequenz-Koordinatoren Amprion und Swissgrid alle europäischen Übertragungsnetzbetreiber über das europäische Warnsystem und leiten die notwendigen Prozesse ein, um die Gegenmaßnahmen zu koordinieren. Ziel ist es, das Stromsystem schnellstmöglich zu stabilisieren und Schäden zu vermeiden.

Handelt es sich bei der Netzentkopplung um den ersten Vorfall dieser Art in Europa?

Nein. Am 4. November 2006 kam es ebenfalls zu einer Entkopplung des kontinentaleuropäischen Stromsystems. Zwar ist der Vorfall nicht mit der aktuellen Entkopplung vergleichbar, doch die Übertragungsnetzbetreiber haben den damaligen Fall detailliert aufgeklärt und daraus weitere Instrumente und Vorgehen entwickelt, die sich auch am 8. Januar bewährt haben. Dazu gehört auch ein internationales Meldesystem für Vorfälle im Netz. Am 8. Januar haben die europäischen Netzbetreiber unter Beweis gestellt, dass sie sowohl gut vorbereitet auch als optimal koordiniert arbeiten.

Wie werden die Netze wieder zusammengebracht? Welche konkreten Maßnahmen werden ergriffen?

Vereinfacht erklärt, werden die Teilnetze von den Übertragungsnetzbetreibern stabilisiert und ausgeregelt, sodass die Frequenz wieder etwa 50 Hertz beträgt. Das erfolgt in der Regel durch eine gezielte Steuerung der Stromeinspeisung. Wenn der Frequenzunterschied zwischen den Teilnetzen dann nur noch einige zehn Millihertz beträgt, wird in einer Schaltanlage an der Grenze zwischen den Teilnetzen ein sogenanntes Parallelschaltgerät aktiviert. Es schließt einen Leistungsschalter zwischen den Netzen, wenn diese nahezu die gleiche Phasenlage haben, also quasi synchron laufen. Durch den kleinen Frequenzunterschied treten diese Momente regelmäßig auf. Die Dauer der vorherigen Trennung spielt dabei keine Rolle. Sobald der erste Leistungsschalter geschlossen ist, werden dann schnellstmöglich weitere Leistungsschalter geschlossen, um das Gesamtnetz wieder an allen möglichen Stellen zusammenzuschalten.

Wo wurden Verbraucher vom Netz getrennt? Gab es weitere Auswirkungen?

Nur wenige Endkunden wurden bei den Vorfällen vom 8. Januar vom Netz getrennt und erlebten einen Stromausfall. Insgesamt entsprach die Abkopplung einer Leistung von 225 MW. Die Abkopplung der Endkunden erfolgte im südöstlichen Teilnetz, maßgeblich in Rumänien. Dank der schnellen Reaktion und der guten Koordinierung der europäischen Übertragungsnetzbetreiber waren die Versorgungssicherheit und die Systemsicherheit darüber hinaus an keiner Stelle gefährdet. Einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung des nordwestlichen Netzteils lieferten die Kapazitäten (Industrieanlagen) in Frankreich und Italien, die abgeschaltet werden konnten. Die Betreiber dieser Anlagen hatten im Vorfeld vertraglich mit dem zuständigen Übertragungsnetzbetreiber vereinbart, dass sie bei einer bestimmten Unterfrequenz ihre Anlagen vorübergehend vom Netz nehmen, um das System zu stützen.

Was war die Ursache für die Netzentkopplung?

Derzeit untersuchen die europäischen Übertragungsnetzbetreiber den Ursprung der Vorfälle des 8. Januar. Diese Untersuchung erfolgt nach den Vorgaben der Richtlinie für den Übertragungsnetzbetrieb (System Operation Guideline). Dafür wird eine große Menge an Aufzeichnungen des Netzbetriebs ausgewertet. Entso-E wird die Ergebnisse der Untersuchung nach deren Abschluss veröffentlichen.

Weiterführende Links

 Die englische Original-Mitteilung von Entso-E finden Sie hier.

Entso-E hat außerdem wichtige Fragen zu den Vorkommnissen des 8. Januar beantwortet. Wir haben  dieses Q&A um einige weitere Aspekte ergänzt. Weitere Informationen werden von Entso-E veröffentlicht, nachdem die Analyse des Vorfalls abgeschlossen ist.