Nicht nur Aktien werden an der Börse gehandelt, sondern auch Strom. Ein Blick in die grundlegenden Strukturen und Mechanismen des Marktes und wie diese sich auf den Netzbetrieb auswirken.


Seit der Liberalisierung der Märkte Ende der Neunzigerjahre ist elektrische Energie eine frei handelbare Ware. Preis und Menge bestimmen die Marktteilnehmer durch Angebot und Nachfrage. Klingt einfach – doch dahinter steckt ein komplexes System mit unterschiedlich getakteten Teilmärkten.

Der Handel mit Strom – ein komplexes Geschäft

Anders als bei Geschäften mit Aktien oder Waren hat der Stromhandel zwei Seiten, die stets zusammenpassen müssen: die physikalische und die kommerzielle. Strom kann nicht gespeichert werden – es kann sich also niemand einen Vorrat davon anlegen. Darum darf nur so viel Strom ins Netz eingespeist werden, wie benötigt wird.

Die Aufgabe der Netzbetreiber ist es, den Strom in den jeweiligen Erzeugungsanlagen aufzunehmen und zu den Abnehmern zu transportieren. Das ist aber nur die eine Seite der Medaille – die Physik. Ihr steht der Handel gegenüber. Denn um zu ermitteln, wann und wo welche Strommengen transportiert werden sollen, müssen Erzeuger ihren Strom an Abnehmer verkaufen. Hierbei planen Marktteilnehmer lange im Voraus, müssen zuweilen jedoch auch kurzfristig Strom beschaffen oder verkaufen.

Verträge für die Zukunft – der Terminhandel

Im Handelsraum der Leipziger Energiebörse (Foto: © EEX)

Der größte Teil des Stromhandels – der Terminhandel – findet im sogenannten OTC-Bereich statt. OTC bedeutet „over the counter“. Dabei schließen Verkäufer und Abnehmer direkt miteinander Geschäfte ab, ohne dass eine Börse oder ein anderer Handelsplatz zwischengeschaltet ist. Die Handelspartner verständigen sich auf Lieferverträge, die teilweise erst Jahres später erfüllt werden müssen, teilweise am gleichen Tag fällig werden. Parallel gibt es den Börsenhandel. Die Leipziger Energiebörse ( European Energy Exchange, EEX) und die Pariser EPEX SPOT ( European-Power-Exchange) sind die wichtigsten Strombörsen für Deutschland. Im Terminhandel an der EEX sind Anbieter und Käufer aktiv, die Strom mit einem Vorlauf von bis zu sechs Jahren bestellen oder verkaufen. Der Preis wird bereits beim Kauf für den Lieferzeitpunkt festgelegt. So können Marktteilnehmer langfristig planen und sich gegen Preisschwankungen wappnen.

Handelsplatz für kurzfristige Geschäfte – der Spotmarkt

Können Stromerzeuger und -verbraucher ihre exakten Angebotsmengen beziehungsweise Bedarfe erst kurz vor dem Lieferzeitpunkt abschätzen, finden die Geschäfte an der EPEX SPOT statt. Hier liegt zwischen Verkauf und dem Liefertag nicht mehr als ein Tag.

Der sogenannte Spotmarkt gliedert sich in zwei Teilmärkte: den Day-Ahead- und den Intraday-Markt. Auf dem Day-Ahead-Markt werden die Stromlieferungen für jede Stunde des folgenden Tages gehandelt. Anbieter und Käufer müssen bis zwölf Uhr des Vortags ihre Gebote abgeben. Anschließend bestimmt die Börse den Marktpreis aus den abgegebenen Geboten und gibt rund eine Stunde später bekannt, wer die Zuschläge erhält.

Stromhandel an der Pariser EPEX SPOT (Foto: © EPEX SPOT)

Im Intraday-Handel wird Strom in Viertelstunden- bis zu Stundenblöcken geliefert. Die Geschäfte beginnen ab 15 Uhr des Vortages und kommen zustande, sobald ein Gebot und ein Angebot zusammenpassen. Noch bis zu fünf Minuten vor Lieferbeginn kann in Deutschland eine Strommenge gehandelt werden. In beiden Märkten heißen diese Handelseinheiten „Produkte“.

Da im Intraday-Handel nur Teilnehmer zusammenfinden, deren Preisvorstellungen sich decken, gibt es – im Gegensatz zum Day-Ahead-Markt – keinen Preis, der sich aus dem gesamten Marktgeschehen ergibt. Ein Produkt kann hier also je nach Handelszeitpunkt unterschiedlich viel kosten.

Auf den Intraday- und Day-Ahead-Teilmärkten wird Strom ebenso zu unterschiedlichen Preisen gehandelt wie im langfristigen Geschäft. Dadurch ergeben sich Möglichkeiten für die sogenannte Arbitrage – das heißt, dass Marktteilnehmer ein Produkt an einem Handelsplatz einkaufen und es an einem anderen teurer wieder veräußern können. Es ist auf dem Strommarkt also grundsätzlich möglich, bestehende Preisunterschiede strategisch auszunutzen.

Was hat der Stromhandel mit den Netzen zu tun?

Die deutschen Übertragungsnetzbetreiber sind dafür verantwortlich, große Mengen an Strom über weite Strecken zu den Verbrauchern zu transportieren. Sie organisieren die Stromflüsse über ihre Höchstspannungsnetze und sorgen so dafür, dass Privathaushalte und Unternehmen jederzeit mit elektrischer Energie versorgt sind. Die Herausforderung dabei: Stromerzeugung und -verbrauch müssen zu jeder Sekunde des Tages im Gleichgewicht sein. Nimmt also ein Industriebetrieb eine größere Menge Strom aus dem Netz, müssen die Übertragungsnetzbetreiber sicherstellen, dass die gleiche Menge zum selben Zeitpunkt von einem oder mehreren Kraftwerken eingespeist wird. Wenn die Gleichung zwischen Einspeisung und Entnahme insgesamt nicht aufgeht, droht eine Überlastung oder Unterdeckung der Netze und schlimmstenfalls ein Ausfall. Im Hinblick auf den Stromhandel bedeutet das: Wenn die Kraftwerke nicht die Strommengen liefern, die sie am Vortag in ihrer Einspeiseprognose angekündigt haben oder die Verbraucher nicht die Last abnehmen, die sie am Vortag bestellt haben, hat der Übertragungsnetzbetreiber ein Problem. Er kann sein System nur dann stabil halten, wenn er zuverlässige und möglichst zeitnahe Informationen von anderen Marktteilnehmern – Kraftwerksbetreibern, Energieversorgern, Stromhändlern – bekommt.

Es folgt eine Bildbeschreibung
Das Foto im Querformat stammt aus der Systemführung und  zeigt eines der wichtigsten Arbeitsmittel der Systemführung/Netzführung: das 18 Meter breite und sechs Meter hohe Rückmeldebild. Die neue Hauptschaltleitung von Amprion in Brauweiler bei Köln ist eine der modernsten Warten weltweit. 
Ende der Bildbeschreibung

Die Mitarbeitenden in der Systemführung sorgen rund um die Uhr dafür, dass das Übertragungsnetz im Gleichgewicht bleibt.

Bilanzkreise: Wie die Handelsgeschäfte mit den physischen Stromflüssen abgeglichen werden

Für die Netzbetreiber wird es erst dann spannend, wenn der bilanzielle Handel bereits gelaufen ist: Nämlich in dem Moment, in dem der Strom tatsächlich geliefert wird. Denn dann muss die physische Ein- und Ausspeisung mit den Geschäften, die an der Börse oder im OTC-Handel abgeschlossen wurden, übereinstimmen.

Um die Handelsgeschäfte mit den physischen Stromflüssen abzugleichen, gibt es ein Instrument: die sogenannten Bilanzkreise. Ein Bilanzkreis besteht aus einer beliebigen Anzahl von Einspeisestellen, wie zum Beispiel Kraftwerken, und Entnahmestellen, also den Kunden in einer Regelzone. Der jeweilige Bilanzkreisverantwortliche – beispielsweise ein Energieversorger oder -händler – hat die Aufgabe, für eine jederzeit ausgeglichene Leistungsbilanz zu sorgen. Er fasst also alle Geschäfte zusammen und muss im Markt genauso viel Strom gekauft oder erzeugt haben und einspeisen, wie er verkauft hat.

Trotzdem kann es zuweilen vorkommen, dass die Gleichung nicht aufgeht und ein Ungleichgewicht zwischen Ein- und Ausspeisung im Netz entsteht. Dann muss der zuständige Übertragungsnetzbetreiber reagieren und die Schwankung mit Regelenergie ausgleichen. Im Nachhinein ermittelt er die individuellen Ungleichgewichte der Bilanzkreise und stellt den Bilanzkreisverantwortlichen die überschüssige oder fehlende Menge über den sogenannten Ausgleichsenergiepreis in Rechnung. Dieses Verfahren ist sehr aufwendig und dauert bis zu acht Wochen.


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